„Der stete Tropfen höhlt den Stein“

„Wir drehen YouTube-Filme, wir entwerfen Plakate, wir schalten Banner“, sagt Herbert Pest, Geschäftsführer der Firma Logserv. „Gute Umzugshelfer zu finden, wird geradezu dramatisch.“ Logserv gehört zum Firmenverbund der Möbelspedition Friedrich Friedrich und erbringt Dienstleistungen wie Finanzbuchhaltung, IT-Ausstattung oder das Personalwesen der Mitgliedsunternehmen.

Die Firmengruppe besteht aus drei Möbelspeditionen, einem Selfstorage-Anbieter sowie einem Gebrauchthandel für Büromöbel, beschäftigt 250 Mitarbeiter und gehört damit zu den Großen in der Branche. Sie leidet wie der gesamte Wirtschaftszweig an einer hohen Mitarbeiterfluktuation bei den Umzugshelfern und sucht händeringend Personal.

Arbeitsschutz als Firmenphilosophie

„Deshalb wollen wir denen, die einen solch schweren Job haben, die Arbeit möglichst erleichtern“, sagt Ralf Stößel, der geschäftsführende Gesellschafter der Firmengruppe. Das heißt nicht nur, dass die Firma in technische Hilfsmittel investiert, sondern auch, dass sie sich konsequent um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz kümmert. Denn auch auf diesen Feldern hat die Branche ein Problem.

Möbelpacker bei der Arbeit
Mobile Möbelaufzüge erleichtern den harten Job. Foto: Friedrich Friedrick/Klaus Mai

Die sogenannte Tausendmannquote verdeutlicht das. Die Zahl gibt an, wie viele meldepflichtige Arbeitsunfälle pro 1.000 Vollarbeiter (siehe Kasten) jedes Jahr passieren. 2016 hatte die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr), der Friedrich Friedrich angehört, eine durchschnittliche Quote von rund 43 Unfällen pro 1.000 Beschäftigte. Betrachtet man nur die Umzugsbranche, steigt die Zahl der Unfälle auf 80 bis 90 pro 1.000 Mitarbeiter und Jahr.

Eine häufige Ursache dafür sind Verletzungen und Quetschungen an den Händen. Jeder, der einmal versucht hat, einen großen Schreibtisch oder einen Schrank durch eine Tür zu zwängen, hat die Erfahrung gemacht: Die Hände sind immer im Weg und drohen zwischen Türrahmen und Möbelstück eingequetscht zu werden. Dem begegnet Friedrich Friedrich mittlerweile mit einem technischen Hilfsmittel, dem „Plattenkarren“. Das ist ein Stahlrohrgestell auf Rollen, auf dem die Möbelstücke sicher fixiert und transportiert werden können. Plattenkarren erfüllen ein doppeltes Ziel: Sie sind kraftsparend und bieten sicherheitstechnische Vorteile. „Erst rund 15 Prozent der Möbelunternehmen verwenden diese Karren zurzeit“, wundert sich Mario Zorn, der für den Arbeitsschutz in der Firmengruppe verantwortlich ist. „Dabei bietet er eine einfache und sichere Navigation, die Hände sind sicher und auf die Füße fällt auch nichts mehr.“

Quetschungen sind am Häufigsten

Zorn ist Fachkraft für Arbeitssicherheit und kümmert sich um die Gefährdungsbeurteilungen, das Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) und die Unterweisungen. Zum AMS zählen unter anderem eine wirksame Arbeitsschutzpolitik, die klare Verteilung von Zuständigkeiten, qualifizierende Maßnahmen für die Mitarbeiter, die regelmäßig Prüfung von Arbeitsmitteln sowie die umfangreiche Dokumentation aller sicherheitsrelevanten Vorkommnisse.

Trotz aller Hilfsmittel: Heben und Tragen gehört zur Kernaufgabe der Mitarbeiter. Foto: Friedrich Friedrick/Klaus Mai

Dazu gehört auch der schwerste Unfall des vorigen Jahres: Ein Mitarbeiter brach durch die Decke eines Zwischenbodens, der getragene Schrank krachte auf seine Finger und er büßte einen Teil seiner Fingerkuppe ein. Der Zwischenboden bestand aus Spanplatten, die feucht geworden waren und dadurch instabil wurden. Auch daraus lernt man bei Friedrich Friedrich, diese Gefährdung ist nun Teil der tätigkeitsbezogenen Gefährdungsbeurteilung und die Mitarbeiter betreten entsprechende Böden nicht mehr, ohne sie vorher inspiziert zu haben.

Die vielfältigen Maßnahmen beginnen zu greifen: In den vergangenen Jahren sank die Tausendmannquote auf 55. „Steter Tropfen höhlt den Stein“, freut sich Zorn. „Jeden zweiten Mittwoch im Monat haben wir jetzt einen Unterweisungstermin um 6.15 Uhr.“ Dadurch hat sich mittlerweile auch ein Problem gelöst, das den Verantwortlichen viele Jahre Kopfzerbrechen bereitete: Trotz Anweisung trug ein Teil der Mitarbeiter nicht konsequent Sicherheitsschuhe. „Das kommt nicht mehr vor, wir haben das jetzt im Griff“, sagt Geschäftsführer Pest.

Wenn er an die Veränderungen in den vergangenen Jahren denkt, fällt ihm noch etwas ein: das Thema Alkohol. Bis vor rund 20 Jahren sei es absolut üblich gewesen, dass die Privatkunden den Möbelpackern einen Kasten Bier hinstellten. Und der ein oder andere Mitarbeiter konnte nicht Nein sagen. Unvorstellbar sei das heute. Die Kunden hätten sich ebenso geändert wie die Mitarbeiter. Pest ist überzeugt: „Es gibt mittlerweile eine andere Kultur der Sicherheit, nicht nur bei der Arbeit, sondern in allen Lebensbereichen. Wer setzt sich heute noch unangeschnallt ins Auto?“

Geprüftes Arbeitsschutz­managementsystem

Dass Friedrich Friedrich im Arbeitsschutz auf einem guten Weg ist, hat auch die BG Verkehr anerkannt. Sie prüfte 2014 erstmals das Arbeitsschutzmanagementsystem des Betriebs und befand, dass es alle Anforderungen an einen wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz erfüllt. Als erstes Umzugsunternehmen in Deutschland erhielt Friedrich Friedrich damit das Siegel „Sicher mit System – BG geprüft“.

Trotz aller Anstrengung bleibt es schwierig, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Das liegt nicht zuletzt an der Bezahlung. Mit ihrem Verdienst werden die Männer nicht reich. „Wir würden gerne mehr zahlen, aber der Konkurrenzkampf in der Branche ist knüppelhart, die Preise sind unten. Wir machen oft dieselben Arbeiten wie Handwerker, aber kein Kunde ist bereit, den gleichen Preis dafür bezahlen“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Stößel.

Da bleibt der Firma nur noch eine Stellschraube: das Betriebsklima. Bei Friedrich Friedrich versucht man, die Mitarbeiter abzuholen und auf sie einzugehen. Ausländischen Neumitarbeitern werden Deutschkurse angeboten oder sie werden bei Behördenproblemen unterstützt. Allen hilft die Firma bei der Wohnungssuche oder vergibt auch mal bei Engpässen Mitarbeiterdarlehen. „Wenn wir auf die Leute nicht eingehen, sind sie schnell wieder weg“, sagt Pest.


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Ein VOLLARBEITER ist eine statistische Rechengröße und dient zur Berechnung der Unfallquote. Ein Vollarbeiter entspricht der durchschnittlich von einer vollbeschäftigten Person im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich tatsächlich geleisteten Arbeitsstundenzahl pro Jahr. Zur Beurteilung des durchschnittlichen Unfallrisikos werden die Arbeitsunfälle auf je 1.000 Vollarbeiter bezogen.

Ein Artikel von
Franz Roiderer

7. Juli 2020

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Wissen