Die Kunst alle mitzunehmen

LANDESHAUPTSTADT WIESBADEN

Die hessische Landeshauptstadt fördert seit 2008 die Gesundheit ihrer Beschäftigten. Mit Erfolg.

Eine Stadt ist eigentlich nicht viel anders als ein Unternehmen mit vielen Geschäftsbereichen. Ein großer Gemischtwarenladen, der für Ordnung und Sauberkeit über das Funktionieren der Infrastruktur bis hin zur Erziehung und Weiterbildung der großen und kleinen Bürgerinnen und Bürger sorgt. Die Stadt als Wirtschaftseinheit kämpft deshalb mit ähnlichen Problemen wie Unternehmen der freien Wirtschaft, etwa mit dem demografischen Wandel.

Die Stadt Wiesbaden zum Beispiel beschäftigt mit ihren Eigenbetrieben rund 5.500 Menschen an 253 innerstädtischen Standorten. In der freien Wirtschaft würde die hessische Landeshauptstadt zu den Großunternehmen zählen. Und ähnlich wie diese, muss sich die Stadt für die Zukunft fit machen, will sie mit anderen Kommunen und Wirtschaftsunternehmen konkurrieren. Das gilt umso mehr, da mit Mainz eine Landeshauptstadt und mit Frankfurt die deutsche Finanzhauptstadt in direkter Nachbarschaft liegen. Das geht nur mit guten Arbeitsbedingungen sowie  gesunden und motivierten Beschäftigten.

Erhöhte Krankenquote als Ausgangspunkt

Erste Überlegungen für ein Betriebliches Gesundheitsmanagement seien deshalb schon in den Jahren 2003 und 2004 angestellt worden, sagt Bernhard Langanki, Leiter des Personal- und Organisationsamtes der Stadt Wiesbaden. Die Krankenquote war damals deutlich höher als in Städten vergleichbarer Größe. Zudem stieg der Altersdurchschnitt in den vergangenen Jahren kontinuierlich an. Aktuell liegt er bei 46 Jahren, ohne die Beschäftigten der Eigenbetriebe sind es sogar 48 Jahre.

So richtig ins Rollen kam der Stein dann 2006, nachdem die Mainzer Verkehrsgesellschaft mit dem rheinland-pfälzischen Innovationspreis Sozial Aktiv 2006 ausgezeichnet wurde. Stadtrat Detlev Bendel regte an, sich das einmal genauer anzusehen. „Wir haben uns dann informiert, was die Kollegen in Mainz machen, und nahmen das als letzten Auslöser, selbst ein Gesundheitsmanagement für Wiesbaden zu entwickeln“, erklärt Langanki.

Mithilfe von Experten wie etwa Prof. Dr. Thomas Weber, damaliger Arbeitsmediziner an den Horst Schmidt Kliniken, oder dem Bielefelder Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Badura wurde schließlich das heutige Integrierte Gesundheitsmanagement der Stadt Wiesbaden entwickelt.

Integriertes Gesundheitsmanagement
Das Logo des Integrierten Gesundheitsmanagements erhöht den Wiedererkennungswert. Foto: Landeshauptstadt Wiesbaden

Prävention ist das A und O

Es lagen zwei Grundprämissen zugrunde: „Alle Teile des Gesundheitsmanagements sollten unter einem Dach organisiert sein und wir orientieren uns am Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation WHO“, sagt Langanki. Dieser lautet: „Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ Das bedeutet für die Stadt Wiesbaden: „Wird jemand krank aufgrund der Arbeitsbedingungen, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wir müssen dafür sorgen, dass niemand aufgrund von Arbeit physisch oder psychisch krank wird“, sagt Marcus Bittner, Leiter der Abteilung Soziale Angelegenheiten, zentrale Dienste im Personal- und Organisationsamt, bei dem alle Fäden des Integrierten Gesundheitsmanagements zusammenlaufen. Prävention sei deshalb das A und O.

Und hier kleckert die Landeshauptstadt nicht, sie klotzt. Es gibt eine Fülle an Angeboten zur Verhaltens- und Verhältnisprävention. In acht ausgewählten Fitnessstudios dürfen die Beschäftigten zum reduzierten Mitgliedsbeitrag trainieren, die städtischen Schwimmbäder können kostenlos genutzt werden, es gibt Betriebssportgruppen, einen jährlichen Gesundheitstag, regelmäßige Gesundheitschecks, Haut- und Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchungen sowie Grippeschutzimpfungen. Zudem gibt es Angebote wie Konflikttrainings oder Suchtberatungen, die psychischen Belastungen entgegenwirken sollen. „Wir beschäftigen praktisch alle Berufsgruppen – vom Müllwerker bis zum Wissenschaftler. Entsprechend unterschiedlich sind die Anforderungen und Belastungen. Während bei einem Gärtner eher mal der Rücken zwickt, hat der Sozialarbeiter, der sich um Flüchtlinge oder Kinder aus zerrütteten Familien kümmert, vor allem mit psychischen Belastungen zu kämpfen. Dem müssen wir jeweils gerecht werden“, erklärt Bittner die große Bandbreite an Maßnahmen.

Familienfreundlichkeit und zahlreiche Gesundheitsangebote

Selbstverständlich gehören auch ein Betriebliches Eingliederungsmanagement sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zum Maßnahmenpaket. „Wir haben zum Beispiel Regelungen getroffen, die es unseren Mitarbeitern erlaubt, in familiären Notsituationen freigestellt zu werden, um das Notwendigste zu organisieren“, sagt Langanki. Und Bittner ergänzt: „Es geht darum, die Arbeitsfähigkeit der Menschen und die Aufrechterhaltung ihrer Daseinsvorsorge zu erhalten und zu verbessern.“

Bislang gelingt das der Stadt mit Erfolg. Schon zweimal gewann Wiesbaden den Corporate Health Award, 2009 und 2015, sowie 2012 den Förderpreis der Unfallkasse Hessen für Sicherheit und Gesundheit. Im Jahr 2011 war die Stadt zusätzlich für den Deutschen Arbeitsschutzpreis nominiert und erhielt 2012 das Exzellenzsiegel im Rahmen des Deutschen Unternehmenspreises Gesundheit. „Die Audits der Wettbewerbe sind sehr anspruchsvoll und lehrreich, ebenso wie der Austausch mit anderen Teilnehmern“, sagt Langanki. Ebenso sank die Krankenquote seit 2008 kontinuierlich. Sie liegt jetzt nur noch 0,7 Prozent über der von vergleichbaren Städten. „Ziel ist, irgendwann nicht mehr über der Vergleichsquote zu liegen, sondern darunter“, so Langanki.

Ein Erfolgsgarant war auch für Integrierten Gesundheitsmanagement selbst sowie für einzelne Bereiche wie Beruf und Familie oder Betriebliches Eingliederungsmanagement eigene Logos zu entwickeln. „Das erhöht unsere Wiedererkennbarkeit“, so Bittner. Es findet sich auf allen Medien, die über Gesundheitsmanagement berichten oder dafür werben, und bei allen Veranstaltungen, die im Rahmen des Gesundheitsmanagements stattfinden. Eine Befragung der Hochschule RheinMain unter den städtischen Mitarbeitern zeige die hohe Bekanntheit der Marke.

Logo "familienfreundliches Unternehmen"
Das Logo „Familienfreundliches Unternehmen“ wurde eigens für die Stadt Wiesbaden entwickelt. Foto: Landeshauptstadt Wiesbaden

„Betriebliche Gesundheit ist Führungsaufgabe“

Ein wichtiger Eckpunkt für ein erfolgreiches Gesundheitsmanagement ist natürlich auch die regelmäßige Überprüfung des Bestehenden. So ergab eine Mitarbeiterbefragung aus dem Jahr 2014 drei Arbeitsschwerpunkte für die Zukunft: mangelnde Rollenklarheit, Einfluss auf Arbeit und Vorhersehbarkeit. „Das sind alles mehr oder weniger Führungsthemen. Außerdem wurde durch die Silostruktur, die durch den Aufbau der Stadtverwaltung systemisch bedingt ist, ein fehlendes Wir-Gefühl bemängelt“, sagt Langanki. Deshalb wurden die Bemühungen, eine gesundheitsorientierte Führung aufzubauen in den vergangenen zwei Jahren noch weiter intensiviert. In verschiedenen Workshops und Gesundheitszirkeln mit allen Führungskräften, Personalvertretungen und Mitarbeitern sowie in konkreten Projektgruppen wird daran gearbeitet, die genannten Kritikpunkte zu beheben. „Betriebliche Gesundheit ist eine Führungsaufgabe“, betont Langanki. „Arbeit im normalen Rahmen macht nicht krank. Das Arbeitsumfeld muss so beschaffen sein, das es zur persönlichen Zufriedenheit beiträgt. Das muss ich als Chef wissen und steuern.“ Bislang sei die Stadt auf einem guten Weg. Im nächsten Jahr starte die Umsetzungsphase. „Der Erfolgsgarant ist, alle mitzunehmen.“ In Wiesbaden funktioniert das bisher.

Ein Artikel von
Falk Sinß

8. Dezember 2016

Kategorie

Wissen