„Es handelt sich um eine Würdigung des Genres mit eigenen Mitteln“

Als im Jahr 2000 der Kurzfilm „Staplerfahrer Klaus – Der erste Arbeitstag“ veröffentlicht wurde, hatten die Regisseure Stefan Prehn und Jörg Wagner zwar gehofft, dass ihr Film ein Erfolg wird. Aber dass daraus ein Kultfilm werden würde, der zahlreiche Auszeichnungen bekam und auch heute noch viele Fans hat, hatten sie nicht erwartet. Und doch ist genau das geschehen. Der im Stil von Unterweisungsfilmen der 80er-Jahre gehaltene Staplerfahrer Klaus ist Kult. Etwas, worauf Stefan Prehn bis heute stolz ist.

Herr Prehn, Staplerfahrer Klaus gilt mittlerweile als Kultfilm. Doch wie kam es zu der Idee, eine doch recht blutige Parodie auf den berufsgenossenschaftlichen Sicherheitsfilm zu drehen?

Die Idee zu Staplerfahrer Klaus entstand etwa 1996. Der Zündfunke war für Jörg Wagner, meinen Co-Regisseur, und mich die Beschäftigung mit der fremden und seltsamen Welt des berufsgenossenschaftlichen Sicherheitslehrfilms. Wir hatten beide keine Lehrausbildung genossen, in der man fast zwangsläufig mit diesem Filmgenre in Berührung kommt. Aber wir wussten um dessen Existenz, beschafften uns einen Katalog und bestellten nach Herzenslust Filme wie „Nicht ins eigene Fleisch schneiden“ der Fleischerei-BG und ähnliche Preziosen. Beim Sichten der Filme war uns schnell klar, dass wir hier den Kosmos für unser nächstes gemeinsames Filmprojekt gefunden hatten. Anregungen für eine Persiflage auf dieses Filmgenre waren genug vorhanden, wir mussten uns nur noch für einen Berufsbereich entscheiden.

Sie haben dann den Beruf des Gabelstaplerfahrers gewählt.

Genau. Der Beruf des Staplerfahrers und die damit verbundenen Gefahren versprachen uns schnell ein Füllhorn an dramaturgischen Möglichkeiten für einen satirischen Kurzfilm: abwechslungsreiche Lagerräume, schwindelnde Höhen, Motoren und Geschwindigkeit. Ein erster Drehbuchentwurf wurde von der Filmförderung Hamburg noch abgelehnt, ein zweiter hatte dann Erfolg. Ebenso unsere Anträge bei den Filmförderungen Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die Gesamtfinanzierung von 180.000 DM war gesichert und nachdem wir unser Team zusammengestellt, ein detailliertes Storyboard erstellt und einen Drehort gefunden hatten, konnte es endlich losgehen. Im April 2000 fiel die erste Klappe.

Staplerfahrer Klaus
Zählt heute als Kultfilm: Staplerfahrer Klaus – der erste Arbeitstag Foto: Screenshot

WIE EIN TYPISCHER UNTERWEISUNGSFILM…

Der Film beginnt wie ein typischer Unterweisungsfilm, nimmt dann aber eine recht blutige Wendung. War das als Kritik an den oft doch eher drögen Unterweisungsfilmen der Berufsgenossenschaften gedacht?

Für uns lag der besondere Reiz der Sicherheitsfilme in der sehr offenkundigen Zeigefinger-Didaktik, der oft ungelenken Inszenierung sowie dem unfreiwilligen Humor der Dialoge und Offkommentare. Das gilt zwar nicht für alle Filme, aber die meisten bedienten sich doch der gleichen dramaturgischen Mittel. Da wir uns keinem Auftraggeber gegenüber verantworten mussten, ließen wir unserer Fantasie freien Lauf. Mit anderen Worten: Wir bedienten uns des Splatter-Genres, um ein eigenständiges Werk zu schaffen, das sich nicht um Genregrenzen kümmert. Es sollte seine eigene genreüberschreitende Logik entfalten und nicht dort aufhören, wo bisher weggeschnitten wurde. Am Anfang des Films etablieren wir den klassischen Rahmen des   Sicherheitslehrfilms, um ihn nach und nach aufzubrechen und mit den filmsprachlichen Elementen von Suspense, Slapstick sowie diversen Genrezitaten zu füllen und den Film schließlich in eine Splatterorgie münden zu lassen.

Dieser Film ist also als reiner Selbstzweck entstanden, es handelt sich nicht um eine Kritik an dem Genre Sicherheitslehrfilm, sondern um eine Würdigung dieses Genres mit eigenen Mitteln.

Für die Entwicklung des Drehbuchs und des Films haben Sie viele berufsgenossenschaftliche Sicherheitsfilme gesehen und sicher auch ein Gespür für deren Schwächen bekommen. Was fehlt den Filmen Ihrer Meinung nach?

Wie bei allen Filmen muss man auch beim Lehrfilm von zwei das Publikum betreffenden konträren Annahmen ausgehen: erstens, dass die Zuschauer recht begriffsstutzig sein können, man also zu deutlichen Mitteln greifen muss, um eine Geschichte verständlich zu erzählen; und zweitens, dass die Zuschauer schlauer sind, als man denkt, dass man also nicht zu deutlich werden darf. Gerade auf dem didaktischen Parkett passiert es oft, dass sich das Publikum fühlt, als würde es nicht für voll genommen. Ich rate deshalb immer zu einer moderaten Überforderung des Publikums, damit der Film für alle spannend bleibt.

Sie sprachen bereits die Didaktik der Lehrfilme an. Das gute Beispiel steht dabei immer im Vordergrund, die negativen Folgen falschen Verhaltens werden nicht gezeigt. Aber wäre es vielleicht nicht besser, auf abschreckende Beispiele zu setzen, um so die Beschäftigten für die möglichen Gefahren für ihre Gesundheit und die ihrer Kollegen besser zu sensibilisieren? Bei der Tabak-Prävention wird ja ähnlich vorgegangen.

Bei der Tabak-Prävention wird zwar vermeintlich auf Schockbilder gesetzt, aber abschreckend ist das meiner Meinung nach nicht. Man vermeidet einfach den Blick auf die Packung und raucht trotzdem. Nein, um eine direkte Botschaft beim Zuschauer unterzubringen, bedarf es auf jeden Fall einer gewissen List, einer Verpackung, die den Zuschauer dazu animiert, sie auch zu öffnen und den Inhalt anzunehmen. Und dazu gehört natürlich die Mitarbeit des Publikums. Man muss dem Zuschauer nicht alles deutlich zeigen, sondern ihn selbst die Elemente oder Konsequenzen des Gezeigten im Kopf zusammensetzen lassen. Nur auf diesem Wege schreibt sich etwas ins Gehirn ein.

…DER ZUM SPLATTERHORROR WIRD

Gab es eigentlich Reaktionen von Arbeitsschützern oder Berufsgenossenschaften auf den Film?

Es gab viele Reaktionen aus unterschiedlichen Ecken. Die Auszubildenden waren begeistert, weil sie diesen „lockeren“ Umgang mit den Sicherheitsvorschriften eben als dieses begriffen: als Auflockerung des Unterrichts. Und als Auflockerung wurde der Film nach kurzer Zeit ja bereits eingesetzt: die Arbeitsschützer und Berufsgenossenschaften begriffen, dass man am toten Punkt am Nachmittag, wenn alle nicht mehr  aufnahmefähig sind, diesen Film als Wachmacher einsetzen kann. Wir haben weltweit Vorführlizenzen für Firmen und Berufsgenossenschaften verkauft, und auch heute kommen immer noch neue Anfragen herein. Aber natürlich wird der Film auch ohne legale Lizenz weltweit gezeigt.

Sprecher des Films ist der kürzlich verstorbene Egon Hoegen, dessen Stimme untrennbar mit der Verkehrserziehungsreihe „Der 7. Sinn“ verbunden ist und der dadurch für Seriosität stand. Hatte er keine Angst, seinen Ruf mit Staplerfahrer Klaus zu „ruinieren“?

Egon Hoegens Stimme trägt natürlich ganz besonders zur Wirkung unseres Films bei. Als wir von seinem Tod erfuhren, war das ein Schock: Eine Ära ist zu Ende gegangen. Als wir damals nach unserer Anfrage bei Hoegen umgehend eine Zusage erhielten, waren wir natürlich aus dem Häuschen. Und als wir dann im Kölner Tonstudio auf ihn warteten und ihn beim Eintreten bereits hörten, bevor wir ihn sahen, war das ein großer Moment für uns.

Nein, Hoegen hatte da keine Berührungsängste. Er hatte bereits ein paar satirischen Beiträgen fürs Fernsehen seine Stimme geliehen und war insofern entspannt. Als er dann sah, dass es in unserem Film recht blutig zuging, schluckte er nur ganz kurz und arbeitete konzentriert an seinem Text. Nach einer Stunde waren wir fertig.

Stefan Prehn
Stefan Prehn führte Regie bei „Staplerfahrer Klaus“. Heutzutage ist er Teil der Filmproduktionsfirma K-Film. Foto: Cordula Kropke

Da Sie noch in der Filmbranche tätig sind: Wenn Sie die Gelegenheit hätten, eine Lehrfilm für einen Berufsgenossenschaft zu produzieren, wie würde der aussehen, sofern man Ihnen freie Hand ließe.

Ich würde nicht mit den Mitteln von „Staplerfahrer Klaus“ operieren, das kann man nicht reproduzieren, das war ein einmaliges Überraschungsmoment. Vielmehr würde ich, aber das käme natürlich auf die konkreten Anforderungen an, mit anderen erzählerischen Mitteln arbeiten, die für den Lehrfilm eher untypisch sind, um so die didaktische Methodik möglichst geschickt zu verpacken.

Staplerfahrer Klaus wird dieses Jahr 18 Jahre alt, Klaus wird sozusagen volljährig. Er wurde auf zahlreichen Filmfestivals gezeigt, hat viele Preise gewonnen und hat viele Menschen begeistert. Solch einen Erfolg hatten Sie vermutlich nicht erwartet?

Wir haben natürlich gehofft, dass der Film ein Erfolg wird. Und freuen uns immer noch, dass es so gekommen ist. Dass er aber global nach 18 Jahren immer noch erfolgreich ist, ist schon beachtlich. Der Film hat eben ein Eigenleben bekommen. Zum Erfolg beigetragen haben sicherlich die Ingredienzen, die wir dem Film beigemengt haben, also anscheinend die richtige Mischung aus Komödie und Tragödie. Und dann die Verbreitungswege des Films: zuerst Filmfestivals, dann ein DVD-Verkaufsschlager, dann die Verbreitung von Raubkopien über YouTube, und dadurch wiederum die weltweite Rezeption durch Filmfreunde und Ausbildungsstätten.

Herr Prehn, vielen Dank für das Interview!

WEITERE INFORMATIONEN

Stefan Prehn ist Teil von K-Film, einer Firma für Filmproduktion in Hamburg. Dort filmt, schreibt, schneidet und unterrichtet er.

„Staplerfahrer Klaus – Der erste Arbeitstag“ ist im Jahr 2000 veröffentlicht worden. Der Kurzfilm ist im Stil eines berufsgenossenschaftlichen Lehrfilms der frühen 1980er Jahre gehalten und schildert den ersten Arbeitstag von Klaus Bassek, der gerade seinen Staplerschein gemacht hat. Klaus macht dabei einen Fehler nach dem anderen und schnell verwandelt sich der dröge Unterweisungsstreifen in eine Mischung aus Slapstick und Splatter. Die Stimme aus dem Off kommt von Egon Hoegen, der vor allem als Sprecher der Verkehrssicherheitssendung „Der 7. Sinn“ bekannt war. Staplerfahrer Klaus lief weltweit auf Kurzfilmfestivals, unter anderem als Wettbewerbsbeitrag in Cannes, heimste viele Preise ein und erfreut sich bis heute großer Beliebtheit.

Ein Artikel von
Falk Sinß

4. Dezember 2018

Kategorie

Wissen