Frühe Ansprache zahlt sich aus

Rund 15 Prozent der Deutschen haben einen riskanten Alkoholkonsum, das heißt sie trinken mehr als zwei Gläser Bier oder eine vergleichbare Menge anderer Alkoholika. Etwa 33 Prozent sind Raucher. Hinzukommen kommen noch etwa 2,3 Millionen Menschen, die abhängig von Medikamenten sind und rund 600.000 nehmen regelmäßig Cannabis oder andere illegale Drogen zu sich. Das geht aus dem aktuellen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung hervor. Allein der volkswirtschaftliche Schaden, den Alkohol- und Tabakkonsum jährlich verursachen, liegt bei rund 60 Milliarden Euro.  Für die Abhängigen gehören eine kürzere Lebenserwartung und ein höheres Krebsrisiko zu den Folgen.

Durch die Suchterkrankungen entstehen nicht nur Probleme für Gesellschaft und das Gesundheitssystem, sondern auch für Betriebe. Das zeigt eine Nachrichtenmeldung aus dem Frühjahr. Zwei betrunkene und unter Drogeneinfluss stehende Mitarbeiter von BMW hatten einen Produktionsstopp am Fließband ausgelöst und so für einen Schaden im fünfstelligen Bereich gesorgt.  Es liegt also im Interesse von Unternehmen,  Suchtprävention ernst zu nehmen und aktiv zu betreiben. Denn betrunkene oder unter Drogeneinfluss stehende Beschäftigte gefährden sich und ihre Kollegen und ihre Arbeitsleitung verschlechtert sich. Dabei betrifft Suchtmittelmissbrauch alle Schichten der Bevölkerung, alle Branchen und damit auch viele Betriebe.

Suchtmittelmissbrauch betrifft alle

Ein tödlicher Arbeitsunfall infolge von Alkoholkonsum bei einem anderen Chemieunternehmen war für BASF der Auslöser für den Einstieg in die betriebliche Suchtprävention. „Das war im Jahr 1993. Wir wollten verhindern, dass sich ein ähnlicher Vorfall bei uns ereignet“, erinnert sich Dr. Kirsten Hupfer, Ärztin für Arbeitsmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie bei BASF.


6 Tipps zur Implementierung einer eigenen Suchtprävention

  • Arbeitskreises gründen, dem alle angehören, die in der betrieblichen Suchtprävention eine Rolle spielen werden, also Betriebsleitung, Betriebsrat, Führungskräfte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte oder Sicherheitsbeauftragte.
  • Dieser Arbeitskreis erarbeitet eine Betriebsvereinbarung
  • Betrieben, die sich unsicher sind, können sich an Musterbetriebsvereinbarungen orientieren.
  • Beschäftigte über Betriebsvereinbarung und Angebote zur Betrieblichen Suchtprävention informieren
  • Vertrauensbasis bei den Beschäftigten schaffen
  • Beschäftigte, die Anzeichen einer Suchtmittelerkrankung zeigen, frühzeitig, aber respektvollansprechen

Deshalb wurde gemeinsam mit Betriebsleitung, Betriebsrat, Betriebsärzten und den Akteuren des Arbeitsschutzes eine Betriebsvereinbarung erarbeitet. In ihr sind neben einem strikten Alkoholverbot auf dem Betriebsgelände auch präventive Maßnahmen vereinbart. „In unseren  Mitarbeiterzeitungen, im Intranet oder auf Flyern klären wir über Gefahren auf und erläutern, wo Betroffene  Hilfe erhalten“, so Hupfer. Außerdem veranstaltet der Chemiekonzern regelmäßig Schulungen  mit Führungskräften und Arbeitsschutzakteuren, aber auch mit „normalen“ Beschäftigten. „Dabei vermitteln wir Wissen über Suchtmittelkonsum allgemein. Die Teilnehmer lernen aber auch, woran sie einen etwaigen Konsum bei Kollegen erkennen können“, sagt die Betriebsärztin. Eine besondere Rolle käme den Sicherheitsbeauftragten zu, so Hupfer. „Die sind am nächsten an den Kollegen dran und entsprechend geschult. Wenn die den Eindruck haben, dass jemand ein Suchtproblem hat, sollen sie ihn ansprechen.“ Natürlich respektvoll.

Ohne Vertrauen keine Suchtprävention

Denn ohne ein gutes Vertrauensverhältnis sei Suchtprävention nur schwer möglich, erklärt die Betriebsärztin. „Man darf nicht sofort mit der disziplinarischen Keule kommen.“  Dann seien die Beschäftigten eher bereit, sich zu öffnen. „Wir haben deshalb ein mehrstufiges Verfahren, das von der einfachen Ansprache durch einen Vorgesetzten oder Arbeitsschützer bis zur Entlassung mit Wiedereinstellungsgarantie reicht“, sagt Hupfer. Durch die Wiedereinstellungsgarantie wird das disziplinarische Instrument der Kündigung im Interesse der Suchtkranken und des Arbeitgebers abgefedert: Mitarbeiter, die aufgrund einer Drogen- oder Alkoholsucht entlassen wurden, werden nach erfolgreicher Therapie  in vergleichbarem Posten bei gleichem Gehalt wieder eingestellt.

Natürlich liegen die Gründe für Alkohol- oder Suchtmittelmissbrauch oft im Privaten. BASF versucht deshalb, Arbeitsprozesse so zu gestalten, dass sie Suchtmittelmissbrauch nicht fördern. „Es gibt Studien, die zeigen, dass überhöhter Alkoholkonsum auch aus Frustration über den Arbeitsplatz oder die Arbeitsaufgabe resultiert“,  sagt Hupfer. „Deshalb haben wir die Arbeitsbedingungen im Blick und versuchen sie so zu gestalten, dass sie nicht krank machen oder in die Abhängigkeit führen.“

Meist wird eine Sucht durch mehrere Problemlagen ausgelöst. „Ein Suchtproblem ist oft ein Lebensbewältigungsproblem“, weiß Hupfer. „Suchttherapie ist deshalb auch immer eine Form der Psychotherapie.“ Oft wollen Menschen, die zu Beginn der Therapie über die Arbeit geklagt haben, nach der Therapie an ihren alten Arbeitsplatz zurück.

BKK bietet Suchtabklärung an

BASF arbeitet bei der betrieblichen Suchtprävention mit verschiedenen externen Trägern wie den Berufsgenossenschaften oder der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zusammen. Mit der betriebseigenen Krankenkasse pronova BKK hat das Chemie-Unternehmen zudem eine spezielle Vereinbarung getroffen. Bekommen Beschäftigte eine Entwöhnungstherapie von der Deutschen Rentenversicherung bewilligt, dann bietet die Betriebskrankenkasse im Vorfeld eine sogenannte Suchtabklärung an. „Dabei handelt es sich um eine beschleunigte Reha“, erklärt Hupfer. Diese gute Kooperation hat inzwischen Schule gemacht. Nach dem Vorbild der pronova BKK bieten mittlerweile alle Betriebskrankenkassen diese beschleunigte Reha an.

Trotz all dieser Maßnahmen gibt es bei BASF noch Beschäftigte mit Suchtproblemen. Doch der letzte Arbeitsunfall, der auf Suchtmittelmissbrauch zurückzuführen ist, liegt viele Jahre zurück. „Wir werten unsere betriebliche Suchtprävention deshalb als Erfolg“, sagt Hupfer. „Und wir werden in unseren Bemühungen sicher nicht nachlassen!“


Hinweise auf Suchtmittelmissbrauch

  • Unkonzentriertheit und nachlassende Sorgfalt,
  • langsameres Arbeitstempo
  • Vergesslichkeit
  • Nachlassen von Kreativität und Arbeitsmotivation
  • Zunahme von Fehlzeiten
  • starke Stimmungsschwankungen

 

Ein Artikel von
Falk Sinß

7. April 2021

Kategorie

Wissen