„Im Sport käme niemand auf die Idee, die Pause auszulassen“

Vorurteile gibt es viele, auch über die Arbeitswelt. Aber die Realität sieht meist anders aus. Prävention aktuell räumt deshalb mit den fünf häufigsten Mythen aus der Arbeitswelt auf.

Vorurteile gibt es viele. Sind sie erst einmal in den Köpfen der Menschen verankert, halten sie sich hartnäckig. Das gilt auch für die Arbeitswelt. Dabei lässt sich die eine oder andere Behauptung, eigentlich schnell widerlegen. „Nicht jeder, der im Home-Office arbeitet, trägt automatisch Jogginganzug und schaut beim Checken der Mails Fernsehserien“, sagt Bernhard Allmann, Professor für Gesundheitsmanagement an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken und Gesundheitsberater der IKK Südwest. Allmann hat fünf Mythen aus der Arbeitswelt geprüft und dabei interessante Zusammenhänge festgestellt.

MYTHOS 1: IM HOME-OFFICE WIRD WENIGER GEARBEITET

„Ein klares Nein“, weiß Allmann. Beschäftigte im Home-Office seien nicht weniger produktiv als ihre Kollegen im Büro. Natürlich gebe es persönlichkeitsabhängige Unterschiede. So seien manche Personen besser organisiert als andere. „In der Regel ist Arbeit von Zuhause aus aber genauso gut, wie Arbeit von Menschen im Unternehmen“, sagt der Experte. Studien zeigen sogar Vorteile für Arbeit im Home-Office. „Wer im Home-Office arbeitet ist glücklicher, weil selbstbestimmter und schätzt den Wert der Arbeit viel höher ein“, informiert Allmann. Die Behauptung, dass Arbeitnehmer im Home-Office einen schlechteren Kontakt zu ihren Kollegen haben, verneint der Experte. „Die Beziehung im Team leidet nicht darunter, wenn ab und zu von Zuhause gearbeitet wird. Im Gegenteil: Die Menschen wollen nichts verpassen. Sie gehen aktiv kommunikativ auf die Kollegen im Unternehmen zu und schaffen so eine enge Bindung. Wer dagegen täglich mit den Kollegen in Kontakt ist, braucht auch mal Zeit für sich.“

MYTHOS 2: WENN VIEL ZU TUN IST, MUSS DIE PAUSE WEGFALLEN

Jeder Mensch verfügt über bestimmte Ressourcen. Sind diese erschöpft, leidet die Produktivität. „Die Deadline für das Projekt ist in wenigen Stunden, gleichzeitig ist das Kind krank und der Termin für den Reifenwechsel ist ebenfalls heute – eine solche Anhäufung von Arbeit führt zu Stress. Die Arbeit kann nicht mehr so ausgeführt werden, wie man möchte. Aus diesem Grund sind Pausen wichtig“, sagt Allmann.

Solche Auszeiten sind gesetzlich vorgeschrieben, werden kurioserweise in der Arbeitswelt aber häufig nicht berücksichtigt. Das liege vermutlich daran, dass viele Arbeitnehmer glauben, dadurch Zeit zu verlieren. Im Sport würde niemand auf die Idee kommen, die Pause auszulassen. Dabei benötige das System Mensch regelmäßig Erholungsphasen. „Wer nach einer Stunde Arbeit für fünf Minuten aus dem Fenster schaut, erhöht seine Wahrnehmung“, so der Experte. Gut seien kurze, häufige Pausen.

Nicht jedem Arbeitnehmer fällt es leicht, Auszeiten gezielt zu setzen. Helfen können hierbei Regelmäßigkeiten oder fixe Rituale. „Manche Menschen holen einen Kaffee, manche setzen sich bestimmte Pausenzeiten und wieder andere besuchen Kollegen im Nachbarbüro“, schildert Allmann. Der positive Effekt: Gerade komplexe Aufgaben könnten besser erledigt werden, wenn die Person erholter sei. „Man sollte nicht warten, bis man vor Erschöpfung nicht mehr kann.“

Bernhard Allmann
Bernhard Allmann, Professor für Gesundheitsmanagement an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken. Foto: IKK Südwest

MYTHOS 3: MULTITASKING IST EFFIZIENT

Multitasking ist das schnelle Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Aufgaben, beispielsweise Telefonieren, Mails beantworten und Termine checken. „Einfache, automatisierte Dinge wie Atmen, Kaugummikauen und Gehen funktionieren gleichzeitig. Doch Aufgaben im Büroalltag werden nacheinander erledigt. Das passiert manchmal so schnell hintereinander, dass es scheint, als würde alles gleichzeitig geschehen. Doch das ist nicht der Fall“, erklärt Allmann. Gerade dieser Wechsel der Aufgaben, der immer mit einer Unterbrechung verbunden ist, sei besonders schwierig.

Multitasking ist eine Strategie, um ein hohes Arbeitspensum zu bewältigen. Sie wird meist dann eingesetzt, wenn die Arbeitsbelastung ein gewisses Maß übersteigt. „Es ist nicht eindeutig zu bestimmen, ob Multitasking effizient ist. Für eine gewisse Zeitlang kann es das sein, dauerhaft ist Multitasking aber nicht durchzuhalten. Dann ist eine Pause nötig“, rät der Experte.

MYTHOS 4: ARBEITEN UNTER DRUCK FÖRDERT DIE PRODUKTIVITÄT

Auch hier ein klares „Nein“ vom Experten. „Zwar führt schnelles Arbeiten kurzfristig zu mehr Produktivität, doch ist das Arbeitspensum dauerhaft zu hoch, nimmt die Produktivität eher ab. Dem Dauerstress kann ein Zusammenbruch folgen und damit ist die Produktivität des Arbeiters dann gleich Null“, informiert Allmann. Die Lösung des Experten lautet: „Aktiv, langsam arbeiten“. Ein relativ geringer Aufwand über einen langen Zeitraum bei einem objektiv mittleren Arbeitstempo führt zu einer hohen Produktivität. Möglich ist das beispielsweise bei einem Projekt mit großem Handlungsspielraum.

MYTHOS 5: WER LÄNGER ARBEITET, SCHAFFT MEHR

„Bei einfachen Arbeiten und in bestimmten Phasen kann das funktionieren, aber nicht auf Dauer“, erklärt der Experte. „Wer seinen Arbeitstag auf zehn bis 14 Stunden ausweitet, kann dauerhaft nicht produktiv sein und gefährdet seine Gesundheit.“ Das bestätigen Studien, die den Zusammenhang zwischen Überstunden und Krankheitstagen aufzeigen. So nähmen die Beratungen der Betriebsmedizin stark zu, wenn über einen längeren Zeitraum das Überstundenaufkommen im Unternehmen hoch sei und gleichzeitig Urlaubssperre bestehe. „Die Krankheitstage steigen in solchen Fällen schnell an und das kann nicht im Interesse des Unternehmens sein“, so Professor Allmann.

Ein Artikel von
Judith Grommes

8. Dezember 2016

Kategorie

Wissen