Unfallrisiko Straßenverkehr

Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland hat im Jahr 2021 einen neuen Tiefststand erreicht. Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes (Destatis), die auf vorliegenden Daten für den Zeitraum Januar bis September 2021 basiert, dürfte die Zahl der Todesopfer im Straßenverkehr auf 2.450 zurückgegangen sein. Das wäre der niedrigste Stand seit Beginn der Statistik vor mehr als 65 Jahren. Der bisherige Tiefststand war 2020 mit 2.719 Verkehrstoten verzeichnet worden, das waren 327 oder elf Prozent weniger als im Jahr 2019 (3.046 Verkehrstote). Das Statistische Bundesamt führt die Rückgänge auf das im Vergleich zu 2019 deutlich geringere Verkehrsaufkommen infolge der Corona-Pandemie zurück. Allerdings sinkt Zahl der Verkehrstoten seit dem Jahr 1970 kontinuierlich. Damals war ein Höchststand von mehr 33.000 im Straßenverkehr getöteten Menschen erfasst worden.

Auch die Zahl der Verletzten ging im Jahr 2021 gegenüber 2020 um rund acht Prozent zurück auf rund 301.000. Dennoch bedeutet dies weiterhin durchschnittlich knapp sieben Todesopfer und mehr als 800 Verletzte täglich im Straßenverkehr. 

Mehr als 2,2 Millionen Straßenverkehrsunfälle

Die Zahl der polizeilich erfassten Unfälle ist nach Schätzungen von Destatis ebenfalls leicht um etwa ein Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Das Statistische Bundesamt rechnet mit rund 2,2 Millionen Unfällen auf Deutschlands Straßen.

Der starke Rückgang bei Verkehrstoten und Unfällen in den vergangenen 50 Jahren ist neben immer sicherer werdenden Fahrzeugen auch auf Änderungen der Straßenverkehrsordnung zurückzuführen, die für mehr Sicherheit gesorgt haben. Ein Problem, das sowohl Technik als auch Gesetze nie vollständig werden beheben können, ist die menschliche Unachtsamkeit. Ablenkung im Straßenverkehr gehört zu den häufigsten Unfallursachen. Zu diesem Ergebnis kommt die BG Verkehr nach Auswertung verschiedener Studien zu Verkehrsunfällen. Je nach Studie sind zwischen 15 und 25 Prozent der Verkehrsunfälle auf Ablenkung zurückzuführen. Eine Sonderauswertung aus Baden-Württemberg aus dem Jahr 2018 führt 19,4 Prozent der Getöteten auf Ablenkung zurück. Oder anders ausgedrückt: Allein in diesem Bundesland wurden in einem Jahr 80 Menschen getötet, weil ein Fahrzeugführer oder eine Fahrzeugführerin nicht bei der Sache war. Oft spielen Smartphones dabei eine Rolle. Ein kurzer Blick auf das Handydisplay kann schon genügen, um zu spät zu bemerken, dass der Vordermann bremst oder ein anderes Fahrzeug die Spur kreuzt –  dann ist der Unfall vorprogrammiert.

Problem Ablenkung im Güterkraftverkehr

Auch im Güterkraftverkehr ist Ablenkung ein Thema. Insbesondere die Monotonie im Fernverkehr verleitet manchen Lkw-Fahrer oder manche -Fahrerin dazu, während der Fahrt anderen Tätigkeiten nachzugehen. Das Schreiben von Textnachrichten auf dem Smartphone ist nicht die einzige Ablenkungsquelle, aber eine besonders gefährliche, weil der Blick von der Straße und die Hände vom Lenkrad genommen werden. Die Folgen sind gravierend: In den ersten neun Monaten 2021 starben 52 Lkw-Fahrer bei Unfällen am Stauende, fünf mehr als im gesamten Jahr 2020. Darin noch nicht enthalten sind andere Verkehrsteilnehmende, die bei solchen Unfällen ums Leben kamen.

Bei Auffahrunfällen spielt Ablenkung eine besonders wichtige Rolle. Ein Blick in die bundesweite amtliche Unfallstatistik mit Zahlen von 2015 bis 2018 zeigt bei den von Sattelzugmaschinen-Lenkenden verursachten Auffahrunfällen mit Personenschäden einen steigenden Trend, teilt die BG Verkehr mit. Die niedersächsische Landesverkehrswacht warnt ebenfalls vor einer steigenden Zahl von Auffahr- und Spurwechselunfällen.

Eine Arbeitsgruppe von Präventionsexperten der BG Verkehr hat sich mit dem Thema Ablenkung befasst – beteiligt waren auch Unfallforscher der Verkehrsunfallforschung (VUFO) Dresden und den Verkehrspsychologen Prof. Dr. Mark Vollrath und Dr. Anja Katharina Huemer von der TU Braunschweig. „Wenn im Straßenverkehr alles glatt läuft und keine anspruchsvollen Reaktionen erforderlich scheinen, kommt eine menschliche Schwäche zum Tragen: Menschen lassen in ihrer Konzentration nach und suchen sich oft Beschäftigung“, fassen die Leiter der Arbeitsgruppe, Michael Fischer und Hans Heßner, zusammen. Ablenkung beginnt dabei nicht mit dem Griff zum Smartphone. Untersuchungen zeigen, dass schon der Signalton einer eingehenden Nachricht, Gespräche, Einstellungen an Bedienelementen im Fahrzeug und viele andere Einflüsse die Konzentration auf die Fahraufgabe stören. Handlungsmodelle und Experimente mit dem Fahrsimulator belegen eindrucksvoll, wie empfindlich Menschen in ihrer Konzentration durch zusätzliche Aufgaben gestört werden, die räumlich-koordinative Orientierung erfordern.

Multitasking funktioniert auch im Straßenverkehr nicht

„Die Aufmerksamkeit des Menschen ist teilbar, aber nur begrenzt. Im Verkehr nehmen wir auch bei ruhiger Fahrt bereits eine Vielzahl von optischen und akustischen Reizen wahr. Jeder weitere nicht fahrbezogene Reiz verdrängt andere wichtige Informationen, sodass schnell Gefahren übersehen werden“, sagt Dr. Klaus Ruff, stellvertretender Präventionsleiter der BG Verkehr. „Das gefühlte Multitasking ist eine Illusion, denn unser Gehirn schaltet kurzzeitig ständig zwischen unterschiedlichen Aufgaben hin und her. Je mehr Dinge es gleichzeitig zu erledigen versucht, desto schlechter erfüllt es diese Aufgaben. Wer am Steuer abgelenkt ist, nimmt Risiken nicht beziehungsweise nur verzögert wahr.“ Selbst wenn Telefon oder Navi sprachgesteuert werden, kostet dies Aufmerksamkeit. Wenn die Beobachtung und Beurteilung des Verkehrsgeschehens unterbrochen werden, geht dies zulasten der Reaktionsschnelligkeit. Die BG Verkehr hat dazu mehrere Medien veröffentlicht, welche die Mechanismen und Gefahren der Ablenkung im Straßenverkehr aufzeigen.

Mehr Wegeunfälle als im Vorjahr

Das Thema Ablenkung im Straßenverkehr ist keine individuelle Gefährdung, sondern sollte auch bei Arbeitsschutzverantwortlichen auf der Agenda stehen. Viele Beschäftigte nutzen das Auto, um zur Arbeit zur gelangen und sind damit täglich den Gefährdungen im Straßenverkehr ausgesetzt. Wegeunfälle nehmen immer noch einen großen Teil des Arbeitsunfallgeschehens ein. Im ersten Halbjahr 2021 kam es laut DGUV zu knapp 87.000 Wegeunfällen. Das waren 18,8 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2020. 97 der Wegeunfälle aus dem ersten Halbjahr 2021 endeten tödlich. Das stellt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zwar einen Rückgang um 8,5 Prozent dar, bedeutet aber immer noch knapp ein Drittel aller tödlichen Unfälle auf der Arbeit, auf dem Weg zur oder von der Arbeitsstelle. Verkehrssicherheit und insbesondere das Thema Ablenkung sollte bei Unterweisungen immer wieder zur Sprache kommen, um die Beschäftigten entsprechend zu sensibilisieren und die Gefährdungen zu minimieren.

Ein Artikel von
Falk Sinß

25. Januar 2022

Kategorie

Wissen