Zukunft der Arbeit
Gesellschaft und Wirtschaft sind im Wandel. Der technische Fortschritt verläuft immer schneller. Was heute noch State of the Art ist, kann morgen schon ein alter Hut sein. Auch wenn Zukunftsprognosen oft einem Stochern im Nebel gleichen, lohnt es, sich Gedanken über die Arbeitswelt von morgen zu machen. Zumindest grobe Trendlinien lassen sich erkennen.
Die Zukunft der Arbeit wird vor allem von drei Entwicklungen geprägt sein:
- die Zunahme der mobilen und damit auch räumlich verteilten Arbeit
- der zunehmende Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI)
- die zunehmende Diversität der Belegschaften und damit verbunden der Wettbewerb um die besten Fachkräfte
Hybride Arbeitsformen
Die Entwicklung hin zu vermehrtem Arbeiten im Homeoffice oder von unterwegs wurde in den vergangenen Jahren immer offensichtlicher. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt. So kam die Job-Webseite FlexJobs in einem Bericht aus dem Jahr 2019 zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Beschäftigten, die zumindest teilweise mobil arbeiten, in den vergangenen zehn Jahren um rund 90 Prozent größer geworden sei.
Wissenschaftler der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg kamen in einer repräsentativen Erhebung zu dem Ergebnis, dass rund die Hälfte der Befragten, darunter ein Drittel Führungskräfte, auch künftig zwei bis drei Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten möchten. Als Motiv wurde von zwei Dritteln der Befragten angegeben, dass ihre Arbeit es ihnen ermögliche, Initiative zu zeigen und nach eigenem Ermessen zu handeln. Bei den Beschäftigten, die nicht im Homeoffice arbeiteten, fiel der Anteil mit 54,8 Prozent deutlich geringer aus. Außerdem sei die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben im Homeoffice besser, gaben rund 70 Prozent der Befragten an.
Ein Grund für die breite Zustimmung scheint zu sein, dass sich die Produktivität im Homeoffice offenbar nicht verschlechtert, entgegen der Annahme mancher Kritiker. Eine repräsentative Betriebsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergab, dass rund 60 Prozent der Betriebe, die in der Pandemie mindestens einem Beschäftigten Homeoffice ermöglichten, keine Verschlechterung der Produktivität bemerkt haben. Insgesamt 22 Prozent der befragten Betriebe hätten die Auswirkungen auf die Produktivität sogar als positiv bewertet. Lediglich 13 Prozent geben an, dass die Produktivität sich durch Homeoffice verschlechtert habe.
Deutsche Unternehmen werden deshalb auch künftig auf einen Mix aus Homeoffice und Präsenzarbeit setzen, wie das ZEW Mannheim in einer repräsentativen Befragung unter rund 1.200 Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe und der Informationswirtschaft herausgefunden hat. Welche mittel- bis langfristigen Folgen das auf die Büroarbeit und die Nutzung von Gewerbeimmobilien hat, wird sich zeigen.
Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz wird die Gesellschaft, die Wirtschaft und vor allem die Arbeit grundlegend verändern. Noch steht dieser Wandel am Anfang und es ist nicht ersichtlich, wie tiefgreifend die Konsequenzen sein werden. Zu diesem Schluss kommen die Forscherinnen Evie Graus, Pelin Özgül und Sanne Steens der Universität Maastricht in einem Paper, das sie für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geschrieben haben. Während von vergangenen technischen Revolutionen wie zum Beispiel Computerisierung, Automatisierung oder Robotisierung tendenziell Berufe oder Tätigkeiten betroffen waren, die ein hohes Maß an Routineaufgaben beinhalten, ist sich die Wissenschaft noch nicht einig, welche Tätigkeiten sich durch den Einsatz von KI ändern oder gar verschwinden werden. Aktuell scheinen Berufe betroffen zu sein, die vor allem aus Routinetätigkeiten bestehen und eine mittlere Qualifikationen verlangen, während Berufe mit niedriger oder hoher Qualifikation, die ohne große Routinearbeiten auskommen, weniger davon betroffen sind. Diese Job-Polarisierung lässt sich aktuell schon in verschiedenen Industrieländern beobachten.
Künstliche Intelligenz unterscheidet sich von früheren technischen Innovationen darin, dass sie keine Anweisungen von Menschen braucht, sondern selbstlernend ist. Sie kann selbstständig eine Verbindung zwischen Input und Output herstellen und braucht dafür kein regelbasiertes Design, das von Menschen geschaffen wurde. Diese Fähigkeit zum Selbstlernen bietet neue Möglichkeiten für den Einsatz der künstlichen Intelligenz, etwa bei Aufgaben, die analytisches Denken fordern. Dazu gehören zum Beispiel medizinische Diagnosen oder Prognosen. Aber auch bei sogenannten kodifizierbaren Aufgaben wie Sprach- oder Bilderkennung kann KI Menschen ersetzen.
Künstliche Intelligenz hat also nicht nur das Potenzial, menschliche Tätigkeiten zu ersetzen, sondern auch neue Berufe zu schaffen und bei bestehenden Jobs die Aufgabenstruktur zu verändern. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass sich KI auf mehr Berufe und Branchen auswirken wird als vorhergehende Innovationen.
Das wird auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Beschäftigten haben. Während eine Befragung von rund 10.000 Arbeitskräften in Japan zu dem Ergebnis kam, dass die befragten Menschen zufriedener mit ihrer Arbeit sind und es ihre Motivation erhöht, wenn ihre Arbeit komplexer und anspruchsvoller wird, kommen andere Studien zu dem gegenteiligen Schluss. Hier verschlechterte sich die psychische Gesundheit. Es wird beim Einsatz von KI auch darauf ankommen, wie sehr die Beschäftigten in diesem Prozess mitgenommen und begeistert werden können, damit künstliche Intelligenz nicht zu mehr Stress, Angst oder Burnout führt.
Diversität und Fachkräftemangel
Die deutsche Gesellschaft wird in den kommenden Jahren vor allem von zwei Entwicklungen geprägt werden: dem demografischen Wandel und der zunehmenden Diversität. Beide hängen eng zusammen.
Der demografische Wandel reduziert das Fachkräftereservoir, in vielen Branchen ist der Fachkräftemangel schon heute groß. So rechnete vergangenes Jahr etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen (54 Prozent) mit Fachkräfteengpässen, ein Prozentpunkt mehr gab an, auch 2020 über weniger Fachkräfte als benötigt verfügt zu haben. Standen 2009 laut der Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit 100 gemeldeten Arbeitsstellen noch 1.083 arbeitslose Menschen gegenüber, waren es 2018 nur noch 247 arbeitssuchende Personen. Gleichzeitig hat sich die Vakanzzeit – also der Zeitraum, den ein Unternehmen braucht, um eine offene Stelle zu besetzen – im selben Zeitraum nahezu verdoppelt: Brauchte ein Unternehmen 2009 nur 61 Tage, um einen geeigneten Mitarbeiter zu finden, waren es 2018 durchschnittlich 113 Tage. Bricht man diese branchenübergreifenden Zahlen auf einzelne Branchen und Regionen herunter, verschlimmert sich das Bild. Nach einer Schätzung des Beratungsunternehmens PwC kostet das den Mittelstand jährlich rund 65 Milliarden Euro, was in etwa 1,3 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung entspricht.
Gleichzeitig erfordert die Digitalisierung aber auch immer besser ausgebildete Menschen, die zudem lebenslang weiterlernen. Denn ein Kernelement der Digitalisierung ist ihre rasante Entwicklung. Was heute noch Standard ist, wird in wenigen Jahren schon wieder überholt und durch eine neuere Version ersetzt worden sein.
Der Kampf um die Fachkräfte ist schon in vollem Gange. Mittelfristig wird sich das Problem vermutlich nur durch Migration lösen lassen. Kurzfristig bleibt Arbeitgebern ausschließlich die Möglichkeit, sich für potenzielle Bewerber so attraktiv wie möglich zu machen.
Ein Faktor für die Attraktivität vor allem bei jungen Menschen ist die Diversität des potenziellen Arbeitgebers. So gaben fast drei Viertel der 18- bis 29-jährigen in einer Umfrage des Recruiting-Start-ups Truffls an, das ihnen Diversität wichtig ist. Insgesamt gaben zwei Drittel der Beschäftigten an, das ihnen das Thema am Herzen liegt. Arbeitgeber, die Fragen der Diversität ernstnehmen und sich aktiv darum bemühen, haben also einen klaren Wettbewerbsvorteil bei der Mitarbeitergewinnung.
Diversität ist auch ein wichtiger Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg. So kommt eine Analyse der Unternehmensberatung McKinsey zu dem Schluss: „Je diverser, desto erfolgreicher.“ Demnach hätten Unternehmen mit einer hohen Gender-Diversität eine um 25 Prozent und damit signifikant größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Bei der ethnischen Diversität liege dieser Wert sogar bei 36 Prozent.
Eine Studie der Unternehmensvereinigung Charta der Vielfalt, die sich für mehr Diversität in der deutschen Wirtschaft einsetzt, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Sowohl Unternehmen, die die Charta der Vielfalt unterzeichnet haben, als auch solche, die das noch nicht getan hätten, sehen viele Vorteile in einer diversen Belegschaft. Demnach sichere Vielfalt die Leistungsfähigkeit und Offenheit des Unternehmens, steigere die Attraktivität für Talente und erlaube es Unternehmen, sich an den gesellschaftlichen Wandel anzupassen, der unmittelbare Auswirkungen auf das eigene Geschäftsumfeld habe. Doch obwohl die Vorteile auf der Hand liegen, haben viele Unternehmen bei der Umsetzung noch großen Nachholbedarf.
So gaben in der Truffls-Befragung gerade einmal 13,5 Prozent der Befragten an, dass Diversität in ihrem Unternehmen eine große Rolle spiele. Genauso viele der Befragten erklärten, dass sich in ihrem Unternehmen gar nicht um Diversität gekümmert werde. Auch die Führungskräfte sind demnach selten weiblich (31 Prozent) oder haben einen Migrationshintergrund (6,7 Prozent). Dabei hätten die Belegschaften mehrheitlich kein Problem mit einer weiblichen Führungskraft oder einer mit Migrationshintergrund. Auch die Vorstände der DAX-Unternehmen sind vornehmlich männlich und weiß.
Das liegt auch an der mangelnden Chancengleichheit. 59 Prozent der Befragten glauben, dass es Menschen mit Migrationshintergrund schwerer haben Karriere zu machen als Menschen ohne Migrationshintergrund. Studienteilnehmer mit Migrationshintergrund teilten diesen Eindruck. Noch schlechter sehen die Karrierechancen bei Frauen aus. 60 Prozent der Befragten haben den Eindruck, dass Frauen beruflich schwerer vorankommen, bei den weiblichen Studienteilnehmern lag dieser Wert sogar bei 75 Prozent.
Der German Diversity Monitor 2021 der Initiative Beyond Gender Agenda kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und beklagt, dass Diversität in deutschen Unternehmen mehr Lippenbekenntnis als Realität sei. Hauptgrund hierfür sei, dass das Diversity-Management bei nur einem Viertel der Unternehmen im Top-Management oder der Geschäftsführung angesiedelt sei. Das zeige, dass Vielfalt keine Chefsache sei. Hierin liege aber ein Ausweg aus dem Dilemma. Das Thema Diversität solle direkt beim CEO oder Geschäftsführer angesiedelt sein, damit die notwendigen Rahmenbedingungen und Ressourcen bereitgestellt werden könnten. Verbindliche und selbstverpflichtende Diversitätsquoten würden ebenfalls helfen und sollten für alle Hierarchieebenen gelten. Je früher Unternehmen damit beginnen, die Vielfalt im Unternehmen zu fördern, desto besser für den wirtschaftlichen Erfolg.