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Der Wandel als Normalzustand
In Zeiten wie diesen bleibt in vielen Unternehmen kein Stein auf dem anderen. Die Umsätze sind weggebrochen, das bisherige Geschäftsmodell trägt vielleicht nicht mehr. Aber die Krise bietet auch eine Chance: Mit einem guten Change Management kann ein Neustart gelingen.
Die Covid-19-Pandemie hat die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt: Globale Lieferketten sind unterbrochen, weil Schiffe nicht anlegen dürfen oder Produkte wegen des Lockdowns erst gar nicht hergestellt werden. Andernorts kommen sie nicht an den Konsumenten, weil das Unternehmen zu sehr auf Ladenverkauf ausgelegt ist. Auf der anderen Seite arbeiten viele Menschen jetzt im Homeoffice und führen Konferenzen per Videotelefonie, statt dafür ein Flugzeug zu besteigen.
Viele Dinge aus dem Bereich ‘New Work’ sind durch den Zwang von Homeoffice selbstverständlich geworden.
„Viele Dinge aus dem Bereich ‚New Work‘, die Firmen lange versucht, aber nicht hingekriegt haben, sind durch den Zwang von Homeoffice selbstverständlich geworden“, sagt Henning Böhne, Mitglied der Geschäftsleitung der Beratungsfirma Kienbaum, der vor allem große mittelständische Familienunternehmen aus Industrie und Handel berät.
„Viele Unternehmen entdecken erst jetzt die Vorteile, obwohl es Technologien wie die Videotelefonie schon lange gibt.“ Mitarbeiter stehen weniger im Stau, verbringen weniger Zeit am Flughafen und haben durch höhere Eigenverantwortung oft mehr Freiheiten. „Sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte erleben:
Es funktioniert.“
Warum aber ist plötzlich möglich, was vorher in den Startlöchern stecken blieb? „Der Mensch ist von Natur aus träge“, sagt Böhne. „Wenn wir uns eingerichtet haben und es gut läuft, denken wir: Warum soll ich etwas ändern?“ Zwar funktionierten viele Produkte oder Vertriebsstrategien über viele Jahre hinweg gut, wie etwa der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren. Doch irgendwann ändere sich der Markt, etwa durch neue Innovationen oder rechtliche Rahmenbedingungen, und dann stelle sich die Frage: Wann steuert man um?
Gerade deswegen böten Krisen, wie jetzt der Lockdown durch die Corona-Pandemie, auch große Chancen. Denn bei Krisen sei jedem automatisch klar: Veränderung ist notwendig. „Es gibt eine Aufbruchsenergie, eine Motivation, die Zukunft zu gestalten und Neues mitzunehmen aus dieser Phase.“
Krankenhäuser etwa müssen durch die Pandemie ihre eingespielten Abläufe umstrukturieren, um die Ansteckungsgefahr von Patienten, Pflegepersonal und Ärzten zu verringern. Autohersteller müssen Alternativen zu ihren Zulieferern in China finden. Andere nutzen den virusbedingten Mangel an Gesichtsmasken, Schutzkleidung oder Desinfektionsmitteln, um eine Lücke zu schließen.
Fehlt der unmittelbare Veränderungsdruck durch eine aktuelle oder drohende Krise, muss dagegen ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Wandels geschaffen werden. So sieht es jedenfalls John P. Kotter vor, Professor für Führungsmanagement an der Harvard Universität, wenn die Veränderung nachhaltig sein soll. Mit seinem 1996 veröffentlichten Buch „Leading Change“ hat er ein Standardwerk des Veränderungsmanagements geschaffen, das eine Strategie von acht Stufen vorschlägt, bei der eingefahrene Verhaltensweisen zunächst aufgeweicht und neue eingeführt werden müssen, bevor der Wandel schließlich in der Firmenkultur verankert werden kann. Diese Vorgehensweise hat in vielen Beratungsfirmen noch immer Gültigkeit, auch Kienbaum orientiert sich daran.
Gerade wegen der gefühlten Notwendigkeit zum Wandel sieht Berater Henning Böhne es als deutlich schwieriger an, erfolgreiche Unternehmen weiterhin erfolgreich zu machen, als strauchelnde Unternehmen wieder auf sichere Füße zu stellen. „Ergebnisse, die wir heute haben, sind eine Resultante vergangener Dinge. Das heißt aber nicht, dass die gleichen Dinge auch in Zukunft erfolgreich sind“, sagt Böhne. „Statt einer Notwendigkeit, die allen einleuchtet, brauchen erfolgreiche Unternehmen immer wieder einen neuen Anspannungsgrad, einen Erfolgshunger, genauso wie beim Sport“, sagt er. Zwischendurch brauche es zwar Erholungsphasen, aber dann müsse man Lust haben, sich weiterzuentwickeln.
FEHLT DER UNMITTELBARE VERÄNDERUNGSDRUCK, MUSS EIN BEWUSSTSEIN FÜR DIE DRINGLICHKEIT DES WANDELS GESCHAFFEN WERDEN.
Ist das Bewusstsein für einen Wandel vorhanden, sollte das Unternehmen in der zweiten Stufe „eine Koalition von Willigen“ finden, die die Veränderungen vorantreibt. Neben Fachwissen sei es wichtig, dass das Führungsteam den Veränderungsprozess glaubwürdig verkörpert und auch Mitglieder des Topmanagements involviert sind.
Steht das Team, gelte es, eine Vision zu entwickeln und Strategien, diese umzusetzen. „Unsere Aufgabe ist dabei nicht nur, zu machen, was ein Management will, sondern auch zu prüfen, ob das für das Unternehmen auch gut ist“, sagt Böhne. Kienbaum, selbst ein Familienunternehmen in dritter Generation, ziele dabei auf die langfristige Überlebensfähigkeit. „Wir beraten vor allem Unternehmen, die sich gesund weiterentwickeln wollen. Da geht es um die nächsten Generationen und nicht, den maximalen Erfolg im nächsten Jahr zu erreichen.“ Denn ein zu schnelles Wachstum könne katastrophal in der mittel- bis langfristigen Betrachtung sein. Etwa wenn neue Mitarbeiter nicht richtig eingeführt und integriert werden oder die gesteckten Ziele nicht zur Unternehmenskultur passen.
Häufig kristallisierten sich Ziele heraus, bei denen es darum geht, neue Innovationen, Technologien, Produkte oder Dienstleistungen auf dem Markt zu etablieren. Oder das Unternehmen will sich strategisch neu positionieren, etwa durch zusätzliche Absatzmärkte im Ausland. Auch die Digitalisierung sei noch ein großes Thema, sagt Böhne, bei dem einige Unternehmen Nachholbedarf hätten. Wie man dabei vorgehen kann, erklärt Böhne anhand eines Unternehmens aus der Stahlindustrie. Weil sich Vertriebswege und Lieferketten verändert hatten, wollte es einen Großteil des Geschäfts künftig auf Onlineplattformen abbilden. „Nachdem klar war, wie das Zukunftsbild aussieht, haben wir etwa 100 Führungskräfte und Schlüsselmitarbeiter die Frage beantworten lassen: Was müssen wir ab sofort tun, um das Ziel in fünf Jahren zu erreichen?“, erzählt er. Im Anschluss wurde in wechselnden Gruppen über die wichtigsten Themen diskutiert und ein Fahrplan erarbeitet. „Dadurch, dass alle ihr Know-how einbringen konnten, entstand eine sehr große Offenheit und Identifikation.“ Als Nächstes – in Stufe 4 von Kotters Veränderungsstrategie – gilt es, die anderen Mitarbeiter ins Boot zu holen und den Wandel zu verbreiten. „Eine der Grundregeln ist dabei, einfach und verständlich zu kommunizieren.“ Dabei helfe es, Beispiele oder Analogien zu nutzen, die das Ziel vorstellbar machen.
DIE MITARBEITER SOLLTEN IMMER WIEDER AUF DEN NEUESTEN STAND GEBRACHT WERDEN – AUF UNTERSCHIEDLICHEN KANÄLEN.
Auch um den Weg zum Ziel zu verdeutlichen, eignen sich Bilder. „Wenn das Ziel der Mount Everest ist, weiß jeder: Bevor die Expedition den Gipfel erreicht, braucht man ein Basislager eins, man braucht ein Basislager zwei und Leute, die sich um die Versorgung kümmern.“ So könne man veranschaulichen, auf welcher Etappe man sich befinde, und dass es auf jeden Mitarbeiter im Unternehmen ankomme. Die Mitarbeiter sollten immer wieder auf den neuesten Stand gebracht werden, und zwar auf unterschiedlichen Kanälen. Besonders wichtig sei das direkte Gespräch. „Die Mitarbeiter wollen wissen: Wie geht meine Führungskraft damit um? Glaubt sie an die Veränderung?“, sagt Böhne. Es brauche Multiplikatoren. „Auch die Wiederholung ist wichtig, um zu zeigen, dass der Wandel eine große Bedeutung hat. Viele fragen sich im Laufe eines Veränderungsprozesses: Hat das immer noch Gültigkeit?“, sagt Böhne.
„SCHRITT FÜR SCHRITT VOM BASISLAGER ZUM GIPFEL.“
Nachdem der Wandel im ganzen Unternehmen kommuniziert wurde, sieht Harvard-Professor Kotter vor, dass die Verantwortung auf eine breite Basis gestellt wird. Grundsätzlich seien die meisten Mitarbeiter motiviert, das Unternehmen voranzubringen. Leicht könne ihr Engagement allerdings durch schlechte Führung, Machtkämpfe, mangelnde Kommunikation oder die Verschwendung von Ressourcen versiegen.
FÜHRUNGSKRÄFTE SOLLTEN SICH IHRER VORBILDFUNKTION BEWUSST SEIN.
Führungskräfte sollten sich dabei ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. „Sie sind immer Vorbild, ob gut oder schlecht, beides wirkt“, sagt Böhne. Nicht vergessen wird er eine Situation in einem Flugzeug, in dem auch Mitarbeiter eines Unternehmens saßen, das er betreute. „Das Management hatte ihnen gerade verkündet, wo überall Kosten eingespart werden müssen.“ Innerhalb Europas sollte beispielsweise nicht mehr in der Topklasse geflogen werden, sondern nur noch Economy. Als einer der letzten Passagiere betrat einer aus der Vorstandsriege das Flugzeug und ging zu seinem Platz in der Businessclass. „Ein Mitarbeiter hat ein Bild davon geschossen, und noch bevor der Flieger abgehoben hatte, war es im Unternehmen rumgegangen“, erzählt Böhne.
Damit die Mitarbeiter auf dem langen Weg zum Gipfel nicht die Motivation verlieren, sei es wichtig, Meilensteine zu erreichen und auch zu feiern. „Je länger ich keine Quick Wins habe, desto weniger glauben Menschen daran, dass es gut gehen kann“, sagt Böhne. Das Führungsteam sollte sich daher Zwischenziele stecken, die schnell erreicht werden können und mit dem Wandel in Verbindung stehen. „Einen Zwischenerfolg symbolisch zu feiern, ist oft motivierender als die Weihnachtsfeier, die jedes Jahr stattfindet“, sagt Böhne. Zu opulent sollten die ersten Erfolge allerdings auch nicht gefeiert werden, sonst entstehe schnell der Eindruck, dass man sich ab jetzt zurücklehnen könne.
IM VERÄNDERUNGSMANAGEMENT GIBT ES KEINEN WIRKLICHEN ENDPUNKT.
Als Letztes müssen die neuen Ansätze in der Unternehmenskultur verankert werden. „Es braucht die Einstellung, dass der Wandel ein Normalzustand ist.“ Ein Unternehmen sollte eine lernende Organisation sein, die sich immer weiterentwickelt und das auch vorlebt. Von daher gebe es im Veränderungsmanagement auch keinen wirklichen Endpunkt. „Wir haben keine Glaskugel, die die Zukunft voraussagt, aber wir können sie immer wieder neu planen.“
WIE VERMITTELT MAN MÖGLICHE VERSCHLECHTERUNGEN IN VERÄNDERUNGSPROZESSEN?
Henning Böhne (Beratungsfirma Kienbaum): „Man muss möglichst ehrlich sein. Es ist wichtig, dass man Mitarbeitern klarmacht: Wo stehen wir und warum wollen oder müssen wir uns verändern? Ich muss in der Lage sein, das Gute daran, also den Vorteil für die Beteiligten darzustellen. Wenn eine Veränderung wirklich gar keine Vorteile für mich als Mitarbeiter hat, frage ich mich: Warum denn dann? Dann mache ich auch weniger mit. Jede Veränderung hat natürlich Gewinner und Verlierer, aber ich als Mitarbeiter muss irgendeinen Vorteil haben. Vielleicht sichere ich nur meinen Arbeitsplatz. Aber auch das kann ein Mehrwert sein, der sehr wichtig ist.“
DER ACHT-STUFEN-PROZESS DES WANDELS NACH JOHN P. KOTTER, PROFESSOR FÜR FÜHRUNGSMANAGEMENT AN DER HARVARD UNIVERSITÄT
1 Ein Gefühl für die Dringlichkeit erzeugen
2 Eine Führungskoalition aufbauen
3 Vision und Strategie entwickeln
4 Die Vision des Wandels kommunizieren
5 Mitarbeiter auf breiter Basis befähigen
6 Schnelle Erfolge erzielen
7 Erfolge konsolidieren und weitere Veränderungen einleiten
8 Neue Ansätze in der Kultur verankern