Smarte PSA

Chancen und Heraus­forderungen

Mit zusätzlichen Funktionen wie Augmented Reality und Echtzeitüberwachung erhöht smarte persönliche Schutzausrüstung (PSA) nicht nur die Arbeitssicherheit, sondern auch den Komfort und die Effizienz. Doch wie viel Technologie ist sinnvoll und wo liegen die Herausforderungen? Im Interview beleuchtet Präventionsexperte Prof. Frank Werner die Chancen und Risiken smarter PSA und gibt Einblicke in zukünftige Entwicklungen.

Interview: Holger Toth (Redaktion)

PSA soll ihre Nutzer vor Gefahren schützen, die sich aus ihrer Tätigkeit ergeben. Was macht denn eine smarte PSA?
Prof. Frank Werner: Smarte PSA unterscheidet sich von herkömmlicher PSA dadurch, dass sie dank weiterer Technologien über zusätzliche Sicherheits-, Komfort- und Effizienzfunktionen verfügt. So gibt es etwa Schutzbrillen, die dem Träger mit Augmented Reality Informationen zu bestimmten Gegebenheiten – zum Bauwerk oder zu bestimmten Bauteilen – direkt ins Brillenglas einspielen. Verknüpft man beispielsweise Informationen aus dem Building Information Modeling (BIM)1, können Sie etwa bei bestimmten Tätigkeiten warnen: An dieser Stelle sind Restbestände von Asbest vorhanden oder an jener Stelle verlaufen Leitungen – dort nicht bohren! Oder die Brille gibt zu einem Bauteil in der Gebäudetechnik Informationen über Störungen, die für die Wartung wichtig sind. Auch sind Hinweise möglich, welches Werkzeug der Arbeiter benötigt. Das Feld ist sehr weit. Aber ich bin mir sicher, dass smarte PSA in Zukunft die Instandsetzung und Wartung von Gebäuden, aber auch Bauarbeiten erheblich unterstützen kann.

Besteht nicht das Risiko einer Überfrachtung des Nutzers und damit einer Überforderung?
Werner: Es kommt bei smarter PSA nicht darauf an, auf Teufel komm raus alles miteinander zu verknüpfen, was möglich ist. Sie muss praktikabel sein – letztlich soll sie besser sein als Standard-PSA. Die Herausforderung wird sein, die sinnvollen Informationen von denen zu trennen, die überflüssig sind. Das wird sich in der Akzeptanz der Nutzer von PSA widerspiegeln. Stellen Sie sich vor, Sie haben in einer Sicherheitsweste Vibratoren verbaut, die auf gefährliche Situationen hinweisen sollen. Wenn die Weste ständig vibriert, werden Sie sie irgendwann nicht mehr tragen.

Worin bestehen die Chancen für die Arbeitssicherheit?
Werner: Systeme mit Überwachungsfunktionen können eine wertvolle Ergänzung darstellen. Wenn also meine PSA mit der PSA meiner Kolleginnen und Kollegen interagiert und mich da­rauf hinweist, wenn jemand möglicherweise gestürzt oder bewusstlos geworden ist, kann ich schneller helfen. Oder PSA, die die Umgebungsluft in Echtzeit überwacht und Warnsignale sendet, wenn Schadstoffgrenzwerte überschritten werden. Ein klassisches Beispiel sind die Einsatzkräfte der Feuerwehr, die sich zur Brandbekämpfung in ein Gebäude begeben: Neben dem klassischen Schutz liefert die smarte PSA auch Informationen zu den Vitalfunktionen, über den Verbrauch der Atemluft, der unmittelbaren Umgebungstemperatur und georeferenziert im Idealfall den genauen Standort. Das heißt, der Gruppenführer weiß genau, wo sich die Einsatzkräfte im Gebäude aufhalten und in welcher körperlichen Verfassung sie sind.

Smarte PSA funktioniert durch das Sammeln und die Analyse von Daten. Müssen Beschäftigte denn Angst haben, komplett überwacht zu werden?
Werner: Ja – und zwar dann, wenn dieses Thema nicht von Anfang an mitgedacht wird, also schon bei der Entwicklung. Ich kann natürlich alle möglichen Daten erfassen und wenn ich es vorsätzlich möchte, auch außerhalb des sinnvollen und zulässigen Rahmens auswerten. Das ist aber nicht der Kern der Entwicklung von smarter PSA. Hier geht es darum, die gewonnenen Daten für ein Mehr an Sicherheit zu generieren und ganz klar auch abzugrenzen von der Aufgabe der Überwachung im Sinne einer Leistungskontrolle. Wenn ich Vitalfunktionen überwache, geht es um den Gesundheitszustand des PSA-Trägers.

Als DGUV beziehungsweise BG BAU haben Sie auf die Datennutzung und potenziellen Datenmissbrauch aber wahrscheinlich wenig Einfluss, oder? Es läuft doch eher auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinaus.
Werner: Das würde ich so nicht unterschreiben. Das Thema Datenschutz spielt bereits bei der Entwicklung der PSA eine Rolle: Welche Datenzugriffe sind sinnvoll und möglich und wer kann in welcher Art und Weise darauf zugreifen? Wenn der Rahmen hier schon restriktiv gesteckt ist und sich genau auf den Mehrwert der smarten PSA konzentriert, dann ist das meiner Meinung nach der richtige Ansatzpunkt. Hier sind wir als Fachbereich Persönliche Schutzausrüstungen, aber auch die Unfallversicherungsträger wie die BG BAU natürlich mit im Boot, weil wir diese Prozesse sehr eng begleiten. Wir bringen uns in die Normung ein, aber auch im Rahmen der Prüfung und Zertifizierung.

Reichen die aktuellen Normen und Richtlinien für die Beurteilung von smarter PSA überhaupt aus?
Werner: Nein, denn die aktuelle Normung fokussiert sich im Wesentlichen auf die Schutzfunktionen der jeweiligen PSA, also beispielsweise auf den Augenschutz oder den Gehörschutz. Hier bedarf es sicherlich eines deutlich breiteren Scopes: Was möchte ich mit welcher Technik verschneiden, also beispielsweise Schutzbrillen mit Augmented Reality? Wie möchte ich das Produkt anwenden? Welche Prüfungen sind dafür notwendig?

Dass die Normung noch nicht ausreicht, macht eine Prüfung von smarter PSA aber auch schwierig, oder?
Werner: Unsere heutigen Prüfungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Normen, die die einzelnen Schutzfunktionen der PSA darstellen. Wir müssen allerdings im Sinne des ganzheitlichen Ansatzes natürlich auch auf elektromagnetische Verträglichkeit, Dateninte­grität, Cybersicherheit, Benutzerfreundlichkeit und Ergonomie prüfen. Aber auch die Lebensdauer ist ein Thema.

Wie muss denn die Benutzung von smarter PSA in Gefährdungsbeurteilungen berücksichtigt werden?
Werner: Im Hinblick auf die Gefährdungsbeurteilung spielt einerseits eine Rolle, welchen Mehrwert die smarte PSA für bestimmte Tätigkeiten bietet. Andererseits geht es darum, ob die PSA-Anwender nicht durch die Nutzung überfordert werden. Die Frage ist: Ergeben sich durch die Komplexität der smarten PSA zusätzliche Gefährdungen, sodass die Beschäftigten die smarte PSA nicht mehr sicher anwenden können?

Kann das Ergebnis einer Gefährdungs­beurteilung auch lauten, dass man nicht nur eine PSA, sondern eine smarte PSA braucht?
Werner: In dieser klaren Abgrenzung wird das nicht zu formulieren sein. Wir sind ja nach dem TOP-Prinzip bei der persönlichen Schutzausrüstung immer auf der letzten Stufe eines Sicherheitsniveaus, wenn technische und organisatorische Lösungen nicht umsetzbar sind oder nicht ausreichen. Der smarte Teil ist letztlich eine Aufwertung der persönlichen Schutzausrüstung.

Vor welchen Herausforderungen stehen DGUV und Unfallversicherungsträger abgesehen von Normung, Prüfung und Zertifizierung?
Werner: Eine Herausforderung besteht darin, den Markt genau zu beobachten. Und zwar dauerhaft. Denn es wird immer Weiterentwicklungen geben, die neue Elemente miteinander kombinieren, um PSA noch intelligenter zu machen. Wir müssen deshalb im ständigen Dialog mit Anwendern, PSA-Herstellern und mit Entwicklern aus dem Bereich der Forschung sein und dabei unsere eigenen Impulse setzen. Die sind wichtig, um die grundlegende Schutzfunktion der PSA weiterhin aufrechtzuerhalten und im Idealfall weiter zu verbessern.

Worauf legt Ihr Fachbereich PSA das Augenmerk?
Werner: Wir müssen darauf achten, dass die Rolle von persönlicher Schutzausrüstung in ihrer eigentlichen Funktion und auch in der Rangfolge von Schutzmaßnahmen nicht auf links gekrempelt wird. Die PSA darf nicht das Mittel der Wahl sein, um technische Lösungen und die Verbesserung von technischen Lösungen zu ersetzen. Es muss weiterhin der Anspruch bestehen, dass im Rahmen der Rangfolge von Schutzmaßnahmen technische und organisatorische Maßnahmen, die ein höheres Schutzniveau bieten, Vorrang haben. Wichtig ist, die Balance zu wahren, die Vorteile von smarter PSA zu nutzen, ohne dabei zu vernachlässigen, dass es höherwertige Schutzmaßnahmen gibt.

Welche Entwicklungen haben Sie aktuell beobachtet?
Werner: Ein paar Systeme haben wir als BG BAU selbst ausprobiert. Beispielsweise haben wir auf Baustellen persönliche Schutzausrüstungen durch Sensoren ergänzt. Zum einen kann dadurch sichergestellt werden, dass nur diejenigen zu bestimmten Arbeitsbereichen Zutritt haben, die dort auch tätig sein sollen. Die smarte PSA erkennt, ob die Beschäftigten die entsprechenden Qualifikationen vorweisen können, ob sie die notwendigen Unterweisungen absolviert haben und ob sie alle benötigten Ausrüstungsgegenstände mit sich führen. Zum anderen können Systeme mit Sensoren Belastungen und Einsatzzeiten analysieren oder Vibrationsgeräte vor Gefahren warnen. Diese smarte PSA ist aktuell schon im Einsatz. Wenn man sich überlegt, dass vor einigen Jahren noch gar nicht groß über smarte PSA gesprochen wurde, ist die Entwicklung schon rasant.

Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie in naher Zukunft?
Werner: Im Bereich der selbstleuchtenden Warnkleidung laufen vielversprechende Versuche. Also Kleidung, die unter bestimmten Lichtverhältnissen oder Zuständen aktiv leuchtet. Die Entwicklung ist noch in der Erprobungs- und Testphase. Aber diese Warnkleidung würde im Straßenbau, aber auch für Rettungsdienste zusätzliche Sicherheit bringen. Also für Beschäftigte in hochgefährlichen Bereichen, die sich nicht durch Absperrungen oder Ähnliches schützen können.

Ihre Prognose: Welche Rolle wird smarte PSA in Zukunft einnehmen?
Werner: Denken Sie mal an Ihr Smartphone. Vor etwa 30 Jahren war es eine Revolution, dass man mit solch kleinen Geräten telefonieren konnte – egal, wo man war. Heute haben wir kein Mobiltelefon mehr in der Hosentasche, sondern einen Computer, mit dem man bei Bedarf auch telefonieren kann. Meine persönliche Prognose: Ein vergleichbarer Trend wird sich auch im Bereich der smarten PSA durchsetzen. Sie wird am Ende kaum noch als PSA wahrgenommen werden, auch wenn es persönliche Schutzausrüstung ist, sondern im Zusammenwirken mit den zusätzlichen Features, die letztendlich diese PSA intelligent machen. Sie wird ganz selbstverständlich ihren Platz in unserem Arbeitsleben finden.

ZUR PERSON:

Bauingenieur Prof. Frank ­Werner ist bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) Leiter des Fachbereichs Persönliche Schutzausrüstungen und stellvertretender Leiter des Fachbereichs Bauwesen. Außerdem ist er bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) als stellvertretender Hauptabteilungsleiter Prävention mitverantwortlich für deren Präventionsstrategie.