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Sturz beim Tablettenholen ist Privatsache
Urteil: Kein Schutz durch gesetzliche Unfallversicherung

KI-generiertes Bild: sairan – stock.adobe.com
Eine Näherin, die eine Arbeitspause einlegt, um Medikamente aus ihrem Auto zu holen, steht auf dem Rückweg vom Parkplatz zu ihrer Arbeitsstätte nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschieden.
Text: Redaktion PRÄVENTION AKTUELL
Die seinerzeit 60-jährige Klägerin trat im Juli 2020 kurz vor 6 Uhr morgens ihre Frühschicht in einer Näherei an. Zu ihrem Arbeitsplatz war sie mit ihrem Auto gefahren, das sie in der Nähe des Betriebs auf einem öffentlichen Parkplatz abgestellt hatte. Gegen 9.30 Uhr bemerkte sie, dass sie ihre Tabletten im Wagen vergessen hatte. Aufgrund ihrer Epilepsie muss sie die Medikamente regelmäßig einnehmen.
Da ihre Schicht erst gegen 11 Uhr enden sollte, ging sie zu ihrem Auto, um die Tabletten zu holen. Auf dem Rückweg zur Arbeit stürzte sie auf einem Fußweg und brach sich das rechte Handgelenk. Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, dieses Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Neuruppin ab.
Einnahme vorrangig im privaten Interesse
Das Landessozialgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Die Einnahme von Medikamenten gehöre nicht zu den arbeitsvertraglichen Pflichten, sondern sei dem nicht versicherten, persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Hätte die Frau mit der Einnahme der Epilepsie-Tabletten bis zum Schichtende gewartet, wäre ihre Arbeitsfähigkeit nicht gefährdet gewesen. Dies habe der durch den Senat gehörte behandelnde Arzt so mitgeteilt. Bestehe ein bloß abstraktes Risiko, dass es ohne die regelmäßige Einnahme der Tabletten während der Arbeitszeit zu einem Epilepsie-Anfall komme, so liege die Einnahme vorrangig im privaten Interesse und damit im nicht versicherten Bereich.
Hingegen könne ein zum Versicherungsschutz führendes, überwiegendes betriebliches Interesse dann bestehen, wenn vergessene Gegenstände geholt würden, die zwingend für die Arbeit benötigt werden. Das Bundessozialgericht hatte das etwa für das Holen einer Brille oder des Schlüssels für einen Spind positiv entschieden.
Erlaubnis der Vorgesetzten für den Versicherungsschutz unerheblich
Auch der Weg zum Mittagessen während einer vollschichtigen beruflichen Tätigkeit ist grundsätzlich versichert. Dies sei dadurch begründet, dass erst die Nahrungsaufnahme die Arbeitsfähigkeit auch für den Nachmittag sicherstelle. Diese Wertung lasse sich aber nicht auf das Holen vergessener Tabletten übertragen, wenn deren Einnahme nicht zwingend erforderlich sei, um die Arbeit fortzusetzen.
Unerheblich sei hierbei, dass die Frau die Erlaubnis ihrer Vorgesetzten eingeholt habe, bevor sie die Tabletten aus ihrem Auto geholt habe. Die Vorgesetzte habe nicht ihr arbeitsvertragliches Weisungsrecht ausgeübt, sondern der Frau lediglich gestattet, ihre Arbeit kurz zu unterbrechen, um einer privaten Besorgung nachzugehen.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.9.2024