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Wie Azubis sicher arbeiten
Berufsanfänger sind überdurchschnittlich an Arbeits- und Wegeunfällen beteiligt. Sie frühzeitig für Gefahrenquellen und Sicherheit am Arbeitsplatz zu sensibilisieren, ist daher umso wichtiger.
Mit Beginn einer Ausbildung bewegen sich junge Menschen auf unbekanntem Terrain: Plötzlich sind sie Teil eines Kollegiums und müssen sich in einem ungewohnten Tätigkeitsfeld behaupten – dies führt nicht selten zu Bewährungsdruck bei den Neulingen. Um sich in dem neuen Arbeitsumfeld schnell zurechtzufinden, benötigen Berufsanfänger nicht nur Aufgeschlossenheit und Lernwillen, sie brauchen auch Kenntnisse über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, um gefahrenfrei durch den Alltag zu kommen.
Laut der jüngsten Statistik der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zu betrieblichen Arbeitsunfällen lag im vergangenen Jahr die Quote der Versicherten unter 19 Jahren bei 24,3 meldepflichtigen Arbeitsunfällen je 1.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten; bei den 20- bis 24-Jährigen lag die Quote sogar bei 25,9. Im Durchschnitt über alle Altersgruppen betrug die Unfallquote 18,9.
Dies zeigt, dass Betriebe ihre Schützlinge schnellstmöglich für die Bedeutung der Arbeitssicherheit und mögliche Gefahrenquellen sensibilisieren sollten. Berufsanfänger tragen ein erhöhtes Unfallrisiko im Verhältnis zu Kollegen, die schon länger dabei sind – was zum einen auf eine generelle Unerfahrenheit, anderseits auf eine höhere Risikobereitschaft zurückzuführen ist, die der Jugend inne ist.
ARBEITSSCHUTZ UND GESUNDHEIT: JE FRÜHER, DESTO BESSER
„Einerseits ist es gut, wenn die jungen Leute im Kopf noch nicht festgefahren sind. Doch beim Thema Sicherheit sollte ein starkes Bewusstsein gegeben sein“, sagt Dagmar Windhövel, Präventionskoordinatorin der DGUV. Als Expertin für Arbeitsschutz beschäftigt sie sich mit verschiedensten Aspekten rund um die Unversehrtheit am Arbeitsplatz für Berufsanfänger. „Je früher Sicherheit und Gesundheit thematisiert werden, desto besser sind die generellen Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit und Einbindung der Azubis im Unternehmen.“
HILFE FÜR DIE AZUBI-ARBEITSSICHERHEIT
Umfassende Beratung bieten die gemeinsamen landesbezogenen Stellen (GLS) der sechs Landesverbände der DGUV sowie die regionalen und überregionalen Arbeitskreise. Zu den Aufgaben der gemeinsamen landesbezogenen Stellen gehören die Auswahl, Begleitung und Durchführung gemeinsamer Projekte und Schwerpunktaktionen der Beteiligten.
Mit der DGUV Vorschrift 1 – „Grundsätze der Prävention“ bietet die DGUV einen verbindlichen Leitfaden, der auf ihrer Webseite kostenlos zum Download steht. Darin werden unter anderem Schwerpunkte aufgegriffen – wie verantwortungsbewusstes Verhalten mithilfe von Unterweisungen zu vermitteln, Mängel im Arbeitsbereich zu erkennen oder die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes abzusichern. Arbeitgeber und Berufsschullehrer können darüber hinaus aus einem umfassenden Lehr- und Weiterbildungsangebot auswählen.
Die Behandlung des Themas Arbeitsschutz bei Berufsanfängern werde sehr unterschiedlich gehandhabt, wie Dagmar Windhövel berichtet: „In den großen und mittelständischen Betrieben werden die jungen Leute regelmäßig unterwiesen. Es sind häufiger die kleinen Unternehmen und Kleinstunternehmen, bei denen Sicherheit und Gesundheit wenig im Vordergrund stehen. Mit unserem Angebot möchten wir jungen Menschen ermöglichen, Sicherheitsthemen in ihren Betrieben offensiv anzusprechen und damit gefahrenfrei und gesund durch ihren Arbeitsalltag zu kommen.“
Um ihr Anliegen leichter in den Ausbildungsplan der Berufsschulen zu integrieren, bietet die DGUV daher ein besonderes Präventionsprogramm an: „Jugend will sich-er-leben“ (JWSL). Dieses geht speziell auf die Bedürfnisse der jungen Menschen ein. In dem umfangreichen Themenspektrum werden vermeintlich langweilige Themen wie Rückengesundheit oder Lärmschutz am Arbeitsplatz jugendgerecht aufbereitet.
SCHUTZBRILLE UND STAHLKAPPENSCHUHE SIND NICHT UNCOOL
Das 1972 etablierte Präventionsprogramm JWSL der gesetzlichen Unfallversicherung stellt mittlerweile das größte Themenspektrum in Deutschland zu Arbeitsschutz für Auszubildende dar. Es wird von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen getragen und von den Landesverbänden der DGUV umgesetzt. Ziel ist es, die Jugendlichen in „ihrer Sprache“ zu erreichen.
„Uns ist wichtig, den Jugendlichen von Anfang an zu vermitteln: Hey, wir sind nicht die mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern wir sprechen auf Augenhöhe. Nur so können wir die Einsteiger ermutigen, sich selbst und ihre Sicherheit ernst zu nehmen. Nach dem Motto: Es ist nicht uncool, die Schutzbrille aufzusetzen und die Stahlkappenschuhe zu tragen“, sagt Dagmar Windhövel. Aus ihrer Sicht der beste Weg, um die Jugendlichen mit dem eher spröden Stoff der Arbeitssicherheit vertraut zu machen. Dazu zähle auch der alljährliche JWSL-Kreativwettbewerb.
Das Augenmerk des Programms liege darauf, die jungen Leute für den Umgang mit Konflikten während der Arbeit zu sensibilisieren und ihnen Hilfsmittel an die Hand zu geben. Berufsschullehrkräfte und Auszubildende können auf der JWSL-Website zu jährlich wechselnden, branchen- und berufsübergreifenden Inhalten kostenlos Unterrichts- und Unterweisungsmedien herunterladen.
WENN ICH MICH UMSEHE, WIE DIE KINDER UND JUGENDLICHEN AN IHREN BILDSCHIRMEN HÄNGEN, FINDE ICH DAS SCHON BEDENKLICH.“
„Ich habe häufiger beobachtet, dass viele junge Leute nicht wissen, dass das Thema Arbeitsschutz weitreichender ist als vermutet“, sagt Dagmar Windhövel. Beim Jahresthema 2019/2020 „Frei sein! Leben ohne Sucht“ habe sich gezeigt, dass nicht nur der Konsum von Cannabis zum weitreichenden Abhängigkeitsproblem geworden ist. Auch der permanente Gebrauch des Smartphones habe bereits destruktive Dimensionen angenommen. „Beim Thema Alkohol und Tabak scheint die jahrelange Präventionsarbeit aufzugehen. Das spielt bei den Jugendlichen kaum noch eine Rolle“, sagt Dagmar Windhövel. „Mit der Internet- und Handysucht haben wir nun ein neues Feld vor uns, wo wir noch ganz am Anfang stehen mit der Aufklärung.
DAS SMARTPHONE ALS ABLENKUNGSQUELLE
Der Faktor Ablenkung trage zunehmend zu Arbeits- und Wegeunfällen bei. Dies ergab eine Umfrage der DGUV in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut forsa zwischen August und Oktober 2017. Demnach fühlt sich rund ein Drittel (37 Prozent) der jungen Menschen manchmal unkonzentriert oder vom Smartphone abgelenkt. Hier zeigt sich die derzeit steigende Relevanz des Themas „Ablenkung“.
Von 1.006 befragten Personen zwischen 16 und 25 Jahren gab die Hälfte der Befragten an, nicht zu wissen, dass sie sich nach einem Arbeitsunfall bei einem von der Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse zugelassenen Durchgangsarzt behandeln lassen müssen.
Dabei haben die unterschiedlichen Berufsgenossenschaften auch branchenrelevante Ratgeber für Auszubildende erstellt. Die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) hat zum Beispiel eine Checkliste für Verantwortliche entworfen, mit der sie den Auszubildenden einen sicheren Start gewährleisten können. Darin werden unter anderem Fragen aufgegriffen wie: Was muss in der Erstanweisung beachtet werden? Welche Besonderheiten gibt es bei der Beschäftigung von Berufsanfängern unter 18 Jahren?
Die BGHM-Information 105 der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) bietet ebenfalls Hilfestellung. Diese führt das Gefahrenpotenzial auf, das der Umgang mit Maschinen für Beschäftigte birgt. Berufsanfänger bekommen unter anderem Tipps zu Erste-Hilfe-Verhalten bei Unfällen und Sicherheits- und Gesundheitskennzeichnungen am Arbeitsplatz. Patenmodelle mit einem erfahrenen Kollegen werden dort unterstützend zur Eingewöhnung angeboten.
AUF DIE KOMMUNIKATION KOMMT ES AN
Denn: Unwissenheit und Missverständnisse schüren Unfälle. Daher wird mit dem Schwerpunkt der aktuellen JWSL- Kampagne, die Anfang September 2020 gestartet wurde, im kommenden Jahr das wohl wichtigste Thema aufbereitet. Mit dem Titel „Kommunikation – durch eine gute Kommunikation Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit voranbringen“ liegt der Fokus auf einem wirksamen Austausch unter Kollegen
SPRECHEN AUF AUGENHÖHE, OHNE ERHOBENEN ZEIGEFINGER, IST ENTSCHEIDEND.
Für Dagmar Windhövel ist eine gute Kommunikationsbasis daher als Präventionsfaktor nicht zu unterschätzen. „Azubis sind häufig von der neuen Arbeitssituation eingeschüchtert. Sie müssen sich in einem neuen Umfeld behaupten, das stark von ihrem gewohnten Alltag abweicht. Schweigen scheint zunächst der bequemere Weg, Konflikte zu handhaben. Darum ist uns wichtig, den jungen Leuten zu vermitteln, dass sie jederzeit den Mut aufbringen sollten nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben.“
Der entscheidende Punkt ist für Windhövel daher, den jungen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen ein gutes Selbstwertgefühl zu vermitteln: „Wenn es aus ihrer Sicht nicht sinnvoll erscheint, was ihnen erklärt wird, ist eine Gefahren- Unterweisung schwierig. Wenn die jungen Leute aber merken, dass sie ernst genommen werden, fällt es ihnen leichter, sich selbst ernst zu nehmen. Das kann sich positiv darauf auswirken, wie sie ihre Rolle im Unternehmen bewerten, und langfristig in den Wunsch münden, sich an ihrem Arbeitsplatz sicher zu fühlen und entsprechend zu verhalten.“