Inklusiv führen

Ein wertschätzender Führungsstil ist im Umgang mit Menschen mit Behinderung besonders wichtig. Was Führungskräfte sonst noch tun können, damit Inklusion gelingt, erklären Manuela Kisker und Christian Gredig von der Fachberatung für Arbeits- und Firmenprojekte (FAF).

Warum lohnt es sich, Inklusion in die Unternehmens­philosophie aufzunehmen und Menschen mit Behinderung zu beschäftigen

Christian Gredig: Alle sprechen vom Fachkräftemangel. Dabei gibt es Menschen mit Behinderung, die Qualifikationen mitbringen. Da ist viel Potenzial. In gewissen Bereichen haben Unternehmen außerdem Wettbewerbsvorteile, wenn sie zum Beispiel Arbeitnehmer mit Behinderung beschäftigen und Kunden mit Behinderung mit ihren Produkten und Dienstleistungen ansprechen wollen.

Manuela Kisker: Die Inklusion von Mitarbeitenden mit Behinderung ist hierbei aus meiner Sicht ein wichtiger Baustein in der Positionierung. Es ist auffällig, dass Arbeitnehmer immer mehr nach der Werteorientierung von Firmen fragen und auch Kunden darauf achten. Eine inklusive Ausrichtung macht Unternehmen vielfältiger und attraktiver. Inklusive Teams sind noch dazu sehr motiviert, sehr loyal und haben eine sehr hohe Bindung ans Unternehmen. Weil sie sehen, dass das Unternehmen seiner sozialen Verantwortung gerecht wird. Das ist auch wichtig, weil eine immer älter werdende Bevölkerung bedeutet, dass die Arbeit entsprechend an die älter werdende Belegschaft angepasst werden muss. Das macht auch Inklusion aus – nicht der Mensch muss sich anpassen, sondern die Gesellschaft beziehungsweise die Arbeit an den Menschen.

Die Gesprächspartner

Die Fachberatung für Arbeits- und Firmenprojekte (FAF) ist eine deutschlandweit agierende Unternehmensberatung für Inklusionsunternehmen. Das gemeinnützige Unternehmen bietet Beratung bei Gründung, in Krisensituationen sowie Beratung und Bildungsleistungen für inklusive Belegschaften an. Manuela Kisker ist bei der FAF als Gründungsberaterin tätig und für den Trainingsgeschäftsbereich „Personal Inklusiv“ verantwortlich. Als Bildungsreferent arbeitet Pflegepädagoge Christian Gredig dort als Berater.

Kann diese Anpassung innerhalb der Belegschaft nicht zu Neid und Missgunst führen?

Gredig: Das ist in unseren Seminaren oft Thema: Warum wird auf die Menschen mit Behinderung in besonderer Weise Rücksicht genommen, zum Beispiel bei Pausenregelungen? Im Sinne der Gerechtigkeit ist das eine berechtigte Frage. Wichtig wäre, den anderen Mitarbeitenden deutlich zu machen: Wenn du mal Probleme hast, wird auf dich genauso Rücksicht genommen.

Jetzt möchte ein Unternehmen einen Menschen mit Behinderung einstellen, hat darin aber wenig Erfahrung. Was ist zu beachten?

Gredig: Ganz wichtig ist es, Führungskräfte für die Thematik und die Herausforderungen zu schulen, sie vorzubereiten und sie dafür zu sensibilisieren. Als Unternehmen darf ich nicht blauäugig herangehen, sondern muss eine Strategie und einen Plan haben. Ich muss die Führungskräfte mitnehmen, um Vorbehalte und Ängste abzubauen.

Wie kann das aussehen?

Gredig: Bei körperlichen Behinderungen ist schnell nachvollziehbar, welche technischen Hilfsmittel der Mitarbeiter benötigt, und die technische Barrierefreiheit ist mithilfe des zuständigen Inklusionsamtes schnell umsetzbar. Das gilt auch für Mitarbeiter mit Seh- und Hörbehinderungen. Bei kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen ist das schon schwieriger. Insbesondere Führungskräfte, die direkt für den Mitarbeiter mit Behinderung zuständig sind, müssen qualifiziert und sensibilisiert werden: Worauf muss ich achten? Wie muss ich mit bestimmten Situationen umgehen?

Sie bieten Seminare zum Thema „inklusiv führen“ an. Brauchen Beschäftigte mit Behinderung einen anderen Führungsstil?

Gredig: Ich denke, wir sind uns einig, dass allgemein ein wertschätzender Führungsstil sinnvoll ist. Den brauchen Menschen mit Behinderung noch mehr als gesunde Menschen, weil es oftmals Brüche in ihrem Leben gibt. Sie wurden angesichts ihrer Erkrankung beziehungsweise ihrer Behinderung in der Vergangenheit oft häufiger mit Kritik und Mängeln konfrontiert als mit Wertschätzung.

Welche Fähigkeiten muss eine Führungskraft dafür mitbringen?

Gredig: Kommunikationsfähigkeit, eine offene Haltung und das Vorbildverhalten sind wichtig. Man kann zum Beispiel in Seminaren zum Thema Stress oder Burn-out Dinge transportieren, die Menschen ohne Behinderung im Verständnis und Umgang für die Kollegen mit Behinderung mitnimmt. Trotzdem wird es immer Konflikte geben, wo die Moderationsfähigkeiten der Führungskraft gefragt sind.

Kisker: Neben der Haltung ist es wichtig, sich Wissen anzueignen. Was charakterisiert bestimmte Krankheitsbilder? Welche Auswirkungen haben Medikamente am Arbeitsplatz? Welche technische Unterstützung gibt es?

Wie kann Inklusion am Arbeitsplatz gelingen?

Kisker: Bitte nicht die Menschen ohne Behinderung vergessen! Das Team muss als Team geführt werden. Stellen Sie gleiche Anforderungen an alle. Was sind unsere gemeinsamen Ziele? Was müssen wir tun, damit wir diese erreichen?

Gredig: Es geht nicht darum, Mitarbeiter mit Behinderung zu schützen und Mitarbeiter ohne Behinderung zu fordern. Führungskräfte müssen dieses Zeichen setzen und gleichzeitig klarmachen: Wir sind nicht alle gleich, aber wir können mit der Unterschiedlichkeit voneinander profitieren. Es geht darum, den Umgang mit den Unterschieden zu moderieren.

Inklusionsunternehmen

Unter einem Inklusionsunternehmen versteht man ein Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt zusammenarbeiten. Der Anteil schwerbehinderter Mitarbeiter liegt in Inklusionsunternehmen zwischen 30 und 50 Prozent.

Aber die Leistungsunterschiede sind ja vorhanden …

Gredig: Die Orientierung am Stärksten kann nicht das Ziel sein, weil es zwangsläufig dazu führt, dass einige Mitarbeiter durchs Raster fallen. Sie werden möglicherweise psychisch krank, was dem Unternehmen schadet. Die Orientierung am Schwächsten kann auch nicht das Ziel sein, dadurch würde man dem Unternehmen die Wertschöpfung erschweren. Man muss sich um einen guten Ausgleich bemühen. Es gibt die 120-prozentigen Leistungsträger. Und es gibt die, die weniger leisten, aber dafür andere Dinge einbringen, die dem Team nutzen. Kommunikationsfähigkeit oder Spaß bei der Arbeit zum Beispiel.

Kisker: Das Erreichen der Unternehmensziele muss natürlich auch im Vordergrund stehen. Nehmen Sie als Beispiel die digitale Transformation: Diese erfordert Anpassungen der Arbeit, damit haben auch Menschen ohne Behinderung Schwierigkeiten. Das ist eine der großen Führungsaufgaben unserer Zeit. Da kann man von Inklusionsunternehmen lernen – wie ich die Arbeit an die Fähigkeiten der Menschen anpassen kann, wissen die ziemlich gut. Auch die Gesundheitsförderung ist eine große Kompetenz der Inklusionsunternehmen. Es gibt eine zunehmende Zahl psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt. Das mag daran liegen, dass die Arbeitsabläufe, die Organisation und die Unternehmenskultur nicht so gestaltet sind, dass sie den Unternehmenszielen dienlich sind. Da könnte ein Dialog mit Inklusionsunternehmen förderlich sein.

Woran erkenne ich, dass Inklusion in meinem Betrieb funktioniert?

Kisker: Es gibt das Instrument der Mitarbeiterbefragung. Und es gibt natürlich auch knallharte Kennzahlen. Wenn Inklusion funktioniert, haben Sie wenig Fluktuation und eine niedrige Krankheitsquote, insbesondere bei Menschen mit Behinderung.

Interview: Holger Schmidt