Nudging – ein sanfter Stups in die richtige Richtung

Aufgeklebte Fußspuren auf dem Boden? Gesundes Essen in Kantinen ist auf Augenhöhe platziert? Standarddauer von Online-Meetings mit 50 statt 60 Minuten? Solchen „Stupsern“ (Nudges) begegnen wir – mehr oder minder bewusst – im Alltag. Können sie unser Verhalten tatsächlich lenken?

Menschliches (Fehl-)Verhalten ist eine maßgebliche Ursache für zahlreiche betriebliche Unfälle. Ein „Du musst …“, um Vorschriften und Regularien einzuhalten oder eine Verhaltensänderung anzuregen, ist wenig erfolgreich. Doch wie kann man Mitarbeiter für die konkrete Umsetzung motivieren? Könnte Nudging als verhaltensbasierter Ansatz eine Möglichkeit darstellen? Wie kann Nudging als Intervention zielführend und effektiv genutzt werden?

nudge [anstoßen], (an-)stupsen, stups

Nudging bedeutet „anstupsen“ und stellt eine „sanfte“ Methode dar, das menschliche Verhalten in eine bestimmte, vorhersehbare, positive Richtung zu lenken. Menschen ­werden mit einfachen Mitteln dazu bewegt, gute Entscheidungen zu treffen. Dabei wird weder auf Gesetze, Verbote oder Gebote noch auf Bevormundung zurückgegriffen. Die Entscheidungsfreiheit wird nicht eingeschränkt und auch auf finanzielle Anreize wird verzichtet.

Vielmehr setzt Nudging als verhaltenspsychologischer Ansatz am Prozess der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung an. Der Psychologe Daniel Kahneman unterscheidet zwei Arten des Denkens: Das System 1 („thinking fast“) ist das automatische, schnelle, weitgehend mühelose, ohne willentliche Steuerung und unbewusste Denken, auch intuitives Denken genannt. System 2 („thinking slow“) hingegen ist das bewusste, langsame, reflektierende, kontrollierte und regelgeleitete Denken, in dem komplexe Zusammenhänge erschließend erarbeitet werden.

Jede Situation im betrieblichen Alltag stellt eine Entscheidungssituation dar, in der eine Fülle an Informationen auf jeden Menschen einströmt und die eine Entscheidung, zum Beispiel für oder gegen ein bestimmtes Verhalten, erfordert. Bei Entscheidungen stehen beide Systeme zur Verfügung und werden jeweils vorrangig in Abhängigkeit von Aufgaben, Personen und Situation aktiviert. Allerdings laufen aufgrund der vielen auf uns einströmenden Informationen die meisten Entscheidungen über System 1, die automatische Steuerung.

Die Methode des Nudgings bezieht sich auf diese Art, Entscheidungen zu fällen. Durch die Gestaltung der äußeren Rahmenbedingungen oder der Entscheidungsarchitektur können menschliche Entscheidungen beeinflusst werden. Ziel ist es, mit einer bewussten Gestaltung die jeweils „richtigen und guten“ Alternativen aufzuzeigen und diese möglichst attraktiv und einfach zu machen. Das Verhalten soll dadurch auf vorhersehbare Weise verändert werden, während die Autonomie über die Entscheidung beim jeweiligen Menschen belassen wird.

Nudges können und dürfen aber auch Spaß machen

Die Wirkweise von Nudging basiert auf verschiedenen Prinzipien, die die Verarbeitung des Systems 1 beeinflussen. So nutzen soziale Nudges das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Bei der Gestaltung von sozialen Nudges wird daher aktiv auf die individuellen Beziehungen zum sozialen Umfeld Bezug genommen. Ein Aufsteller mit „Gestern haben sich 120 Personen für die Treppe statt den Aufzug entschieden!“ kann Menschen zur Nutzung einer Treppe motivieren.

Nudges können und dürfen aber auch Spaß machen. Wenn Verhaltensweisen Freude bereiten, werden sie häufiger gewählt. So motiviert das Fußballtor im Urinal eines Fußballstadions zum „Treffen“. In diesem Sinne werden Prinzipien der Informationsverarbeitung genutzt, um Nudges in Form von Motivation einzusetzen – ohne finanzielle Zuwendung, Zwang oder Verbote. Insbesondere die Verbindung von gut verständlicher Information und motivierenden Anreizen übt einen „sanften Stupser“ aus.

Es gibt erste Studien zur Wirksamkeit von Nudges beispielsweise zu Ernährung oder Bewegung. Eine erste Meta-Analyse zeigte, dass 62 Prozent der Nudging-Interventionen zu statistisch signifikanten Verhaltensänderungen führten.

Moment! Ist das nicht Manipulation?

Nudging zielt darauf ab, das Verhalten auf unbewusster Ebene zu beeinflussen. Dieses subtile und gezielte „Ausnutzen“ der kognitiven Schwächen in menschlichen Entscheidungsprozessen kann ein Gefühl von Manipulation hervorrufen. Allerdings stellen Nudges keine Vorschriften dar, die Entscheidungsfreiheit bleibt erhalten.

Mit Blick auf die Nachhaltigkeit ist es ähnlich wie im Arbeitsschutz: Die Fakten und die „guten und richtigen“ Handlungen sind sowohl beim arbeitssicheren und gesundheitsförderlichen als auch bei klima- beziehungsweise umweltfreundlichem und nachhaltigem Verhalten bekannt. Doch: Warum wird das Flugzeug statt der Bahn für die Reise genutzt? Warum werden Plastik- statt Stoffbeutel verwendet? Warum werden E-Mails ausgedruckt? Warum wird bei To-go-Kaffee auf Einwegprodukte und nicht auf recycelbare oder wiederverwendbare Produkte zurückgegriffen? Dies sind nur wenige Beispiele, die Möglichkeiten aufzeigen, sich zugunsten nachhaltigen Handelns zu entscheiden.

Nachhaltiges Verhalten der Mitarbeitenden trägt zu einer positiven Umweltbilanz einer Organisation bei, die wiederum einen Beitrag zum Umweltschutz und zur Nachhaltigkeit leisten kann. Als Organisation stellt sich daher die Frage, wie die eigene Strategie anzupassen beziehungsweise zu optimieren ist, um eine positive Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft zu haben.

Beschäftigte profitieren von nachhaltigem Verhalten

Eine aktuelle Meta-Analyse zeigt zudem, dass auch die Mitarbeitenden von nachhaltigem Verhalten profitieren. So zeigen sich statistisch bedeutsame und positive Zusammenhänge von nachhaltigem Verhalten zu mehr organisationalem Commitment, Identifikation mit der Organisation und auch einer höheren Arbeitszufriedenheit. Förderlich für das Zeigen von nachhaltigem Verhalten im Arbeitskontext waren vor allem eine unterstützende Kommunikation und Führung seitens der Organisation. Individuelle Merkmale wie Alter, Geschlecht, Bildung oder Betriebszugehörigkeit hatten keinen oder kaum Einfluss.

Doch trotz all dieses Wissens und der förderlichen organisationalen Rahmenbedingungen besteht auf Ebene des Verhaltens der Beschäftigten noch Potenzial. Genau hier können Nudges ansetzen und nachhaltiges Verhalten fördern.

Was braucht es, damit wir (wirksame) Maßnahmen umsetzen?

In einer Studie aus dem Jahr 2021 wurde in amerikanischen Supermärkten die Nutzung von Plastikbeuteln an Kassen untersucht. Um das nachhaltige Verhalten zu „nudgen“, wurde an den Kassen ein Schild platziert, das eine Meeresschildkröte mit einem Plastikbeutel im Mund zeigte und auf diese Weise auf das Thema Verschmutzung der Weltmeere durch Plastik verwiesen. Zudem war ein allgemeiner auffordernder Schriftzug („Sag Nein zum Plastikbeutel“) abgebildet. Dieser wurde durch einen weiteren Schriftzug untersetzt, der entweder eine positive („und du rettest die Ozeane“) oder negative („oder du zerstörst die Ozeane“) Konsequenz einfach und verständlich darlegt. Zudem wurde untersucht, welchen Einfluss das direkte Ansprechen durch die Kassierer hatte.

Die Ergebnisse zeigten, dass Kundinnen und Kunden seltener einen Plastikbeutel nutzten, wenn sie direkt durch das Personal an der Kasse darauf angesprochen wurden. Der Anteil derer, die keinen Beutel wollten, konnte durch das Schild um 10 bis 20 Prozent gesteigert werden – unabhängig davon, ob die einkaufenden Personen beim Bezahlen angesprochen wurden. Zwischen der positiven und negativen Konnotation zeigten sich keine statistisch bedeutsamen Unterschiede. Was können wir daraus lernen? Auch nachhaltiges Verhalten bei „kleinen“ Alltagsentscheidungen lässt sich durch Nudges beeinflussen.

Bei der Entwicklung von Nudges ist es wichtig, sich an den spezifischen Faktoren der jeweiligen Situation und Zielgruppe zu orientieren und zugleich die Kernelemente von Nudges zu berücksichtigten. Dafür empfiehlt sich die Entwicklung in einem dreischrittigen Prozess.

Im ersten Schritt, der Analyse, werden das Ausgangs- und das Zielverhalten definiert. Dabei geht es um eine möglichst genaue Beschreibung des adressierten Verhaltens und des Zielverhaltens. Dabei wird auch auf mögliche Hindernisse eingegangen, die davon abhalten, das Zielverhalten zu zeigen. Zudem ist zu betrachten, wer genau die Zielgruppe ist und welche Eigenschaften diese charakterisieren. Weiterhin werden messbare Erfolgskriterien abgeleitet.

Hat eine Organisation beispielsweise festgestellt, dass der Verbrauch an Druckerpapier und Toner durch umfangreiches Ausdrucken (Ausgangsverhalten) sehr hoch ist, könnte sich die Organisation entscheiden, ebendieses Verhalten zu „nudgen“.. Ziel ist es, die damit verbundenen Kosten zu reduzieren und gleichermaßen auch bei diesem Thema dem Ziel einer nachhaltigen Organisation einen Schritt näher zu kommen. Die Mitarbeiter in den Büros sollen dazu angehalten werden, bewusster und weniger zu drucken (Zielverhalten).

Im zweiten Schritt, dem Design, werden kreative Ideen für Nudges gesammelt und abgeleitet. Dafür bieten sich beispielsweise Brainstormings oder Kreativ-Workshops an. Die Nudging-Ideen werden anschließend bewertet unter anderem hinsichtlich ihrer Machbarkeit, Ausrichtung auf das Zielverhalten und die Zielgruppe. Die Ideen werden priorisiert und ausgewählt.

Um am Beispiel unserer Organisation zu bleiben, werden in einem Workshop mit einzelnen Mitarbeitern verschiedene Ideen in einem Brainstorming gesammelt: zum Beispiel die veränderte Druckereinstellung auf beidseitigen Druck und Schwarz-Weiß-Druck (Voreinstellung) oder die Positionierung des Druckers im Flur statt im Büro. Das führt zu längeren Wegen und häufig eher zum Lesen von Dokumenten am Bildschirm. Denkbar könnten auch Plakate mit Schriftzügen sein, die unter anderem an die Abholzung des Regenwaldes zur Papierherstellung erinnern.

Die Positionierung des ­Druckers im Flur statt im Büro führt zu längeren Wegen und häufig eher zum Lesen von Dokumenten am Bildschirm

Im dritten Schritt, Test und Evaluation, erfolgt die Implementierung der ausgewählten Nudges, deren Evaluation und Anpassung. Nach einem vorher festgelegten Zeitraum von sechs Monaten werden beispielsweise die Zählerstände auf den Gemeinschaftsdruckern ausgewertet. Zusätzlich werden einzelne Mitarbeiter kurz befragt, inwieweit sie die Nudges bemerkt haben oder wie dies ihr Verhalten beeinflusst hat.

Zur Unterstützung dieses Prozesses gibt es zahlreiche praxisorientierte Hilfestellungen. Besonders empfehlenswert sind die Broschüre und das Arbeitsposter der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM), die neben dem Gestaltungsprozess auch die Prinzipien und Kernmerkmale der Nudges bei deren Entwicklung berücksichtigt.

Fazit

Nudging ist ein hilfreiches und zukunftsweisendes In­­strument, um arbeitssicheres sowie gesundheitsförderliches und auch nachhaltiges Verhalten von Beschäftigten im betrieblichen Alltag zu fördern. Dabei ist es weder DIE Lösung noch die EINZIGE Lösung. Nudging stellt einen weiteren Baustein in der Verhaltensprävention dar, um beispielweise in der betrieblichen Prävention das betriebliche Unfallgeschehen zu beeinflussen beziehungsweise nachhaltiges Verhalten zu fördern.

Es gibt nicht „den einen Nudge“, der für alle Betriebe und Anlässe gleichermaßen wirksam ist. Vielmehr sind die Nudges je nach Zielgruppe, Zielverhalten und Betrieb individuell zu entwickeln.

DIE AUTORIN:

Die Psychologin Dr. Franziska Jungmann ist als Hochschullehrerin an der International School of Management (ISM) mit Hauptsitz in Dortmund tätig.

Der Text erschien ­erstmals in: DGUV Forum 4/2023

Text: Dr. Franziska Jungmann

Literatur:
BG ETEM (2019): Nudging: kreative Ideen für sicheres und gesundes Verhalten,
medien.bgetem.de/medienportal/artikel/TUIwMzc-
Paffendorf, F. (2022): Mit Stupsern steuern, topeins.dguv.de/fuehrungskultur/nudging