- Titelthema
- Editorial
- Kurz & Knapp
- Praxis
- Produkte & Märkte
- Unterhaltung
- Vorschau
Gefahrstoffe richtig ersetzen

Foto: AdobeStock/PrettyVectors
Die Substitution von Gefahrstoffen nimmt als erster Buchstabe in der STOP-Rangfolge eine wichtige Rolle im Arbeits- und Gesundheitsschutz ein. Bei der Prüfung, ob sich ein Gefahrstoff oder Verfahren substituieren lässt, muss jedoch auf einiges geachtet werden.
GIBT ES EINE SUBSTITUTIONSPFLICHT?
Im Begriffsglossar zur Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) wird Substitution wie folgt definiert:
„Substitution bezeichnet den Ersatz eines Gefahrstoffes oder eines Verfahrens durch einen Stoff, ein Gemisch, ein Erzeugnis oder ein Verfahren, der zu einer insgesamt geringeren Gefährdung für die Beschäftigten (…) führt.“
§ 6 Absatz 1 Nr. 4 der GefStoffV fordert im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung keine Substitutionspflicht: Es wird stattdessen nur eine „Beurteilung der Möglichkeiten einer Substitution“ gefordert. Auch in § 6 Absatz 8 der GefStoffV wird zur Dokumentation lediglich gefordert, „das Ergebnis der Prüfung auf Möglichkeiten einer Substitution anzugeben“. Die Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 600 konkretisiert die Anforderungen an die Substitution – auch in dieser TRGS wird nur von „Möglichkeiten der Substitution“ gesprochen.
In Nr. 5.4 der TRGS 600 wird die STOP-Rangfolge der Schutzmaßnahmen konkretisiert, indem eine „vorrangige“ Substitution insbesondere bei CMR-Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B oder akut toxischen Gefahrstoffen der Kategorie 1 gefordert wird.
KENNZEICHNUNG MIT H-SÄTZEN

CMR-Gefahrstoffe Kategorie 1A oder 1B:
- H340: Kann genetische Defekte verursachen.
- H350(i): Kann (bei Einatmen) Krebs erzeugen.
- H360: Kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen oder
das Kind im Mutterleib schädigen.

Toxische Gefahrstoffe Kategorie 1:
- H300: Lebensgefahr bei Verschlucken.
- H310: Lebensgefahr bei Hautkontakt.
- H330: Lebensgefahr bei Einatmen.
WELCHEN NUTZEN BRINGT SUBSTITUTION – ZUM BEISPIEL BEI KREBSERZEUGENDEN STOFFEN?
Eine Substitutionsprüfung kostet zwar immer Aufwand in Form von Geld und Zeit. Oft wird aber übersehen, dass zum Beispiel durch den Ersatz eines Gefahrstoffes mit geringerer Gefährdung zugleich einige Schutzmaßnahmen entfallen können, wodurch wiederum Kosten gespart werden können: Das kann vor allem bei Routinetätigkeiten sinnvoll sein. Im Falle krebserzeugender Gefahrstoffe der Kategorie 1A oder 1B können durch Substitution unter anderem folgende Schutzmaßnahmen entfallen:
Maßnahmenkonzept
Die GefStoffV schreibt in § 10 Absatz 1 vor: „Bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B, für die kein Arbeitsplatzgrenzwert nach § 20 Absatz 4 bekannt gegeben worden ist, hat der Arbeitgeber ein geeignetes, risikobezogenes Maßnahmenkonzept anzuwenden, um das Minimierungsgebot nach § 7 Absatz 4 umzusetzen.“ Konkretisiert wird das risikobezogene Maßnahmenkonzept in der TRGS 910.
Verbot der Luftrückführung
§ 10 Absatz 5 GefStoffV: „Werden in einem Arbeitsbereich Tätigkeiten mit krebserzeugenden, keimzellmutagenen oder reproduktionstoxischen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B ausgeübt, darf die dort abgesaugte Luft nicht in den Arbeitsbereich zurückgeführt werden. Dies gilt nicht, wenn die Luft unter Anwendung von behördlich oder von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Verfahren oder Geräte ausreichend von solchen Stoffen gereinigt ist. Die Luft muss dann so geführt oder gereinigt werden, dass krebserzeugende, keimzellmutagene oder reproduktionstoxische Stoffe nicht in die Atemluft anderer Beschäftigter gelangen.“ Näher bestimmt wird die Luftrückführung in der TRGS 560.
Führen eines Expositionsverzeichnisses
§ 14 Absatz 3 der GefStoffV schreibt unter anderem vor, dass „ein aktualisiertes Verzeichnis über die Beschäftigten geführt wird, die Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B ausüben, bei denen die Gefährdungsbeurteilung nach § 6 eine Gefährdung der Gesundheit oder der Sicherheit der Beschäftigten ergibt; in dem Verzeichnis ist auch die Höhe und die Dauer der Exposition anzugeben, der die Beschäftigten ausgesetzt waren“. Die entsprechende Technische Regel ist die TRGS 410.
WELCHE GRENZEN GIBT ES BEI SUBSTITUTION?
Substitution ist aber kein Allheilmittel: Es gibt durchaus Stoffe, die sich nicht oder nur schwer substituieren lassen, beispielsweise Inhaltsstoffe mit spezifischer Wirkung (sogenannte Pharmawirkstoffe in Medikamenten). Dasselbe gilt für Analytik-Standards zur Bestimmung von Gefahrstoffen.
Im Gegensatz dazu ist die Substitution eines Stoffes leichter umsetzbar, wenn er zum Beispiel nur als Lösemittel und nicht als Ausgangsstoff oder Produkt einer chemischen Reaktion verwendet wird. Ob Ersatzstoffe letztendlich technisch geeignet sind, kann anhand der Kriterien in TRGS 600 Nr. 5.2 beurteilt werden.
WAS TUN, WENN EINE SUBSTITUTION NICHT MÖGLICH IST?
Für den Fall, dass eine Substitution nicht möglich ist und eine erhöhte inhalative Exposition besteht, fordert die GefStoffV in § 9, dass „geschlossene Systeme“ zu verwenden sind. Zu den geschlossenen Systemen im Labor zählen unter anderem im geschlossenen Abzug aufgestellte, nicht offen betriebene Apparaturen, Vakuumapparaturen, Gloveboxen etc. Wenn auch der Einsatz geschlossener Systeme nicht möglich ist, sind Schutzmaßnahmen gemäß der „TOP-Rangfolge“ (technisch, organisatorisch, persönlich) einzusetzen.
WIE KÖNNEN DIE GEFÄHRDUNGEN VON GEFAHRSTOFFEN UND ERSATZSTOFF VERGLICHEN WERDEN?
Eine vergleichende Bewertung der Gefährdungen kann zum Beispiel mit dem GHS-Spaltenmodell entsprechend Anhang 2 der TRGS 600 durchgeführt werden. Für diese Bewertung sind folgende Daten aus den Sicherheitsdatenblättern der Stoffe (SDB) notwendig:
Wie dann vorzugehen ist, wird im nächsten Satz in der TRGS 600 beschrieben: „Dann obliegt es dem Verwender zu beurteilen, welche Gefahreneigenschaften, d. h. welche Spalten im konkreten Fall das größere Gewicht haben.“ In der TRGS 600 finden sich diesbezüglich mehrere Beispiele.

Fazit: Selbst wenn sich in der Spalte „Freisetzungsverhalten“ die Gefährdung erhöht, wäre eine Substitution von THF mit MTBE erlaubt, da es nach der Begriffsdefinition der Substitution immer um eine insgesamte Verringerung der Gefährdung geht. Neben dem GHS-Spaltenmodell kann für die Substitutionsprüfung bei Flüssigkeiten auch die Gefährdungszahl (GZ) genutzt werden: Die GZ ist der Quotient aus Sättigungsdampfkonzentration beziehungsweise Dampfdruck („p“) in hPa oder mbar und Luftgrenzwert (GW) in ppm. Bei 20 °C ergibt sich die Berechnungsformel: GZ(20 °C) = p(20 °C) x 987/GW.
Die GZ gibt an, um welches Wievielfache ein dampfgesättigtes Luftvolumen verdünnt werden muss, damit der Grenzwert eingehalten wird. Ein Beispiel: Bei der Berechnung der GZ für NMP und NEP wird deutlich, dass eine Substitution von NMP mit NEP nicht sinnvoll ist, da beide GZ in der gleichen Größenordnung liegen (16 vs. 36). Außerdem ist NEP seit 2014 auch mit dem H-Satz H360D („Kann das Kind im Mutterleib schädigen.“) gekennzeichnet. Eine Substitution wird erst dann als sinnvoll erachtet, wenn sich mindestens eine fünffach geringere GZ ergibt.
Wenn keine Substitution von NMP realisiert wird, sind für die Gefährdungsbeurteilung unter anderem die Vorgaben aus der REACH-Beschränkung zu beachten. Weitere Angaben finden sich in der ECHA-Leitlinie „Einhaltung der Beschränkung 71 der REACH-Verordnung, Leitlinien für NMP-Anwender“.
EIN BEISPIEL:
- Für den Vergleich zwischen THF (CAS: 109-99-9) als krebsverdächtigem Gefahrstoff und
- MTBE (CAS: 1634-04-4) als potenziellem Ersatzstoff
ergibt sich der in Anhang 2 der TRGS 600 beschriebene Regelfall, der in folgender Grafik aufbereitet ist:

WIE KANN BEI DER SUBSTITUTION PRIORISIERT WERDEN?
Bei Tätigkeiten mit sehr vielen Gefahrstoffen stellt sich oft die Frage: Gibt es eine Priorisierung bei der Substitutionsprüfung? Ein Lösungsansatz ergibt sich aus den beiden Paragrafen der GefStoffV:
§ 10 der GefStoffV fordert „besondere“ Schutzmaßnahmen bei CMR-Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B. Diese sind mit den folgenden H-Sätzen gekennzeichnet:
- H340: Kann genetische Defekte verursachen.
- H350(i): Kann (bei Einatmen) Krebs erzeugen.
- H360: Kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen oder das Kind im Mutterleib schädigen.
§ 9 der GefStoffV fordert „zusätzliche“ Schutzmaßnahmen, wenn beispielsweise Arbeitsplatzgrenzwerte oder biologische Grenzwerte überschritten werden oder bei hautresorptiven oder haut- oder augenschädigenden Gefahrstoffen eine Gefährdung durch Haut- oder Augenkontakt besteht. Als weiterer Einflussfaktor kann auch die Menge berücksichtigt werden.
MIT WELCHEN NEUEN ANFORDERUNGEN AN DIE SUBSTITUTIONSPRÜFUNG IST IN ZUKUNFT ZU RECHNEN?
Im März 2022 wurde der Referentenentwurf zur Novelle der GefStoffV veröffentlicht, die voraussichtlich Mitte 2023 in Kraft tritt. Ausgehend vom neuen „§ 10a Besondere Aufzeichnungs-, Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten bei CMR-Gefahrstoffen Kat. 1A / 1B“ kann auch jetzt schon im Rahmen der Substitutionsprüfung überprüft werden, ob die in § 10a genannten Gefahrstoffe ersetzt werden können.
Nach aktuellem Referentenentwurf wird für diese Stoffe eine neue Mitteilungspflicht an die zuständige Behörde bei Grenzwertüberschreitung gefordert inklusive der Beifügung des sogenannten Maßnahmenplans.
Noch nicht im aktuellen Referentenentwurf enthalten ist die neue Anforderung aus der EU-Richtlinie 2022 / 431: Bei reproduktionstoxischen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B (gekennzeichnet mit H360) muss das personenbezogene Expositionsverzeichnis mindestens fünf Jahre nach Ende der Exposition aufbewahrt werden. Auch hier lohnt sich also jetzt schon eine Aktualisierung der Substitutionsprüfung, auch wenn diese Richtlinie erst zum 5. April 2024 umgesetzt werden muss.
ÜBER DIE AUTORIN:
Dr. Birgit Stöffler ist Lehrbeauftragte der TU Darmstadt (Fachbereich Chemie), Fachbuchautorin („Substitution von Gefahrstoffen“, „Sicheres Arbeiten mit Gefahrstoffen“) und Sachverständige im Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS).
Quellen:
- Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)
- Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 410, 560, 600, 910
- DGUV Information 213-850 „Sicheres Arbeiten in Laboratorien“
- EU-Richtlinie 2022 / 43
- Referentenentwurf der Bundesregierung: Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung und anderer Arbeitsschutzverordnungen
- ECHA-Leitlinie „Einhaltung der Beschränkung 71 der REACH-Verordnung, Leitlinien für NMP-Anwender“