Geht’s auch ganz ohne Büro?

Die Managementberatung doubleYUU ist überall zu Hause – und doch nirgends. Seit 2015 verzichtet das Unternehmen ganz bewusst auf ein Bürogebäude. Gründer und Geschäftsführer Dr. Willms Buhse erklärt, warum das Modell ein voller Erfolg ist und ob es sich auch für andere Unternehmen eignet.

Interview: Holger Schmidt (Redaktion)

New Work ist seit der Corona-Pandemie ein Megatrend in der Arbeitswelt. Sie leben mit Ihrem Unternehmen schon seit 2015 ein solches Arbeitsmodell. Warum haben Sie sich damals dafür entschieden, die klassische Büroarbeit in Hamburg aufzugeben?
Willms Buhse: Ich habe vier Jahre lang für den Bertelsmann-Konzern als Technologie-Scout im Silicon Valley gearbeitet und dabei viele innovative Menschen kennengelernt. Über dieses Netzwerk kam der Impuls: Ein Unternehmen mit 60 Mitarbeitern hatte sein Büro aufgelöst und seinen Mitarbeitern erlaubt zu arbeiten, von wo sie wollen – ob von zu Hause, mobil, aus dem Coworking-Space oder aus dem Hotel am Strand. Da habe ich überlegt: Wieso brauchen wir als Managementberatung eigentlich ein Büro?

Brauchen Sie denn keins?
Buhse: Zu der Zeit – vor Corona – haben wir noch viel beim Kunden gearbeitet. Etwas flapsig formuliert: Wir hatten das Büro eigentlich nur für die Mitarbeiter, die gerade nichts zu tun hatten, und für die, die freitags ihre Reisekosten abgerechnet haben. Ich habe mich selbst coachen lassen und dabei die Idee entwickelt, es ohne Büro zu versuchen. Ein paar Monate nach der Umsetzung haben wir analysiert. Das Ergebnis: Wir konnten die Produktivität steigern und es war einfacher für uns zu rekrutieren. Und unsere Kunden haben es eigentlich gar nicht gemerkt. Wir haben schlicht auf den repräsentativen Charakter verzichtet.

Das spart natürlich auch Geld.
Buhse: Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir das nicht aus Kostengründen, sondern aus Überzeugung machen. Alles, was wir am Büro einsparen, reinvestieren wir in Kulturentwicklung und in Weiterbildung.

Wie funktioniert Kulturentwicklung denn ohne Büro?
Buhse: Persönliche Beziehungen sind auch ohne Büro wichtig. Davon lebt unser Geschäft und doubleYUU als Firma. Wir schaffen die Begegnungen zwischen den Beschäftigten eben außerhalb des Büros, aber dafür etwas organisierter. Projekte und Workshops gibt es auch weiterhin – nur nicht im Büro, sondern an der Nordsee, auf dem Hausboot oder an anderen interessanten Orten.

Kam das bei allen Beschäftigten gut an?
Buhse: 2015 hatten wir 30 Mitarbeiter. Wir haben während des Umstellungsprozesses zwei oder drei verloren, für die das Thema Vor-Ort-Sein im Büro eine große Rolle spielt. Alle anderen sind den Weg mitgegangen. Zwei haben wir sogar nur dadurch halten können, dass wir auf Remote Work gesetzt haben.

Welche Vorteile bietet das Ihrem Unternehmen?
Buhse: Die regionale Abhängigkeit ist gesunken. Unsere Mitarbeiter sind mittlerweile im ganzen deutschsprachigen Raum verteilt. Wir haben auch schon experimentiert mit Mitarbeitern auf Bali. Da haben wir allerdings keine guten Erfahrungen gemacht, das war wohl eine Frage der Arbeitsmentalität. Aber wir haben Beschäftigte in Irland und den USA und profitieren von den dortigen Impulsen.

Bleiben bei dieser dezentralen Organisation nicht viele Informationen auf der Strecke?
Buhse: Ich habe den Eindruck, dass es einen besseren Informationsfluss für das Wesentliche gibt, weil wir jetzt strukturierter Begegnungen organisieren und kommunizieren. Im gleichen Atemzug haben wir schon damals viel digitalisiert. Das war der Begleiteffekt.

Würden Sie heute sagen, dass dieser radikale Umbruch weg vom Büro ein Erfolg war?
Buhse: Das lässt sich unter anderem an den Kennzahlen ablesen, mit 150 Mitarbeitern sind wir erheblich größer geworden. Die Produktivität ist nachweislich angestiegen und ich habe das Gefühl, dass wir jetzt mehr Zeit für den Kunden haben. Wir haben auch immer wieder nachgesteuert und Sachen ausprobiert. Der letzte Baustein war das Thema Gesundheit. Wir haben wissenschaftlich untersuchen lassen, ob das Arbeitsleben zu Hause genauso gesund ist wie im Büro. Das ist tatsächlich so, weil unsere Beschäftigten top ausgestattete, ergonomische Arbeitsplätze von uns zur Verfügung gestellt bekommen. Darüber hinaus ist die Mitarbeiterzufriedenheit gestiegen. Sie genießen und nutzen ihre Freiheiten, zwischendurch vielleicht mal laufen oder mit dem Hund Gassi zu gehen. Noch dazu fallen die Anfahrtswege ins Büro weg.

Eignet sich das Arbeitsmodell ohne Büro für jedes Unternehmen?
Buhse: Keinesfalls. Man sollte immer bei dem Geschäftsmodell beginnen – welches Arbeitsumfeld unterstützt meine Strategie? Ich kenne beispielsweise ein Unternehmen, das auf Minijobber setzt. Für diese Beschäftigten lohnt es sich nicht, regelmäßig ins Büro zu pendeln. Das Unternehmen hat gemerkt: Wenn wir die Minijobber ohne Büroarbeit rekrutieren und remote arbeiten lassen, gehen die Bewerberzahlen durch die Decke. In anderen Arbeitsbereichen ist es dagegen sehr wichtig, dass Menschen zusammenkommen und die Kultur des Unternehmens sozusagen in dessen eigenen Mauern spüren.

Derzeit scheint der Trend dahin zu gehen, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern hybride Arbeitsmodelle anbieten.
Buhse: Ich bin Ingenieur und da ist ein Hybrid eigentlich die schlechteste Lösung, weil du für beides das komplette Setup brauchst, damit es funktioniert. Das ist doppelter Aufwand. Trotzdem würde ich den meisten Unternehmen empfehlen, dass sich Büroarbeit und Remote Work bei ungefähr 50 : 50 einpendelt – sofern sich durch das Geschäftsmodell keine andere Lösung anbietet. Bei unserer Managementberatung sind die Mitarbeiter zum Beispiel ohnehin viel im Kundenkontakt. Es gibt aber viele Tätigkeiten, wo soziale ­Kontakte und der regelmäßige Austausch fehlen. Ausschließlich remote zu arbeiten, tut manchen Beschäftigten dann nicht gut und es kann im schlimmsten Fall zu psychischen Krankheiten führen – zumindest, wenn Remote Work nicht richtig eingeführt wurde. Dafür müssen die Führungskräfte geschult sein und die Beschäftigten müssen Arbeitsmittel zur Verfügung haben, die ein gesundes Arbeiten ermöglichen. Auch empfehle ich auf Team-Ebene regelmäßige Reflexionsmeetings zur Verbesserung der Zusammenarbeit.

Wie wird die Büroarbeit der Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen?
Buhse: Die Arbeitswelt verlangt flexible und agile Lösungen, um Markterfordernisse schneller abdecken zu können. Es lohnt sich, intensiv über die Gestaltung von Arbeitsplätzen nachzudenken. Es gibt eine Menge Lösungen jenseits der klassischen Büroarbeit und auch jenseits der starren Hybridmodelle mit festgelegten Büro- und Remote-Arbeitstagen. Denn wer Remote Work nur in Bürotagen zählt, der hat die Arbeitswelt von morgen nicht verstanden.

ZUR PERSON:

Auf den Gebieten Digital Leadership, Künstliche Intelligenz und Transformation gilt Willms Buhse als ausgewiesener Experte und Vordenker. Der diplomierte Maschinenbauer und Wirtschaftswissenschaftler berät Top-Manager und hält Vorträge an deutschen und amerikanischen Elite-Universitäten. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens doubleYUU, das Ideen und Impulse aus der digitalen Welt auf die Realität deutscher Unternehmen überträgt. www.doubleyuu.com