Wenn der Kollege trinkt

Alkoholkrankheit führt zu einer massiven Verschlechterung der Arbeitsleistung. Damit ist auch die Arbeitssicherheit unmittelbar betroffen, sowohl die des Alkoholkranken als auch seiner Kollegen. Wie allerdings mit einem Alkoholkranken umgegangen werden soll, ist oft unklar.

Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache: In Deutschland ­gelten laut Bundesgesundheitsministerium 1,6 Millionen Menschen als alkoholabhängig. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch Mitarbeiter des eigenen Betriebs darun­ter ­finden, ist entsprechend hoch.

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1,6 MILLIONEN MENSCHEN IN DEUTSCHLAND GELTEN ALS ALKOHOLABHÄNGIG

WAS IST SUCHT?

In der Alltagssprache wird der Begriff „Sucht“ häufig missverständlich und fälschlich verwendet. Internationale Klassifikationssysteme (ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation – WHO) unterscheiden zwischen der akuten Intoxikation (akuter Rausch), dem schädlichen Gebrauch und dem Abhängigkeitssyndrom (Sucht). Eine Abhängigkeit besteht, wenn mindestens drei der folgenden Punkte im Zeitraum eines Jahres gleichzeitig vorlagen:

  1. Starker Wunsch oder Zwang zum Konsum
  2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Menge, Beginn und Beendigung des Konsums
  3. Psychische und körperliche Entzugserscheinungen bei Absetzen oder Reduktion des Konsums
  4. Toleranzzunahme (es müssen immer mehr Mengen konsumiert werden, um die gewünschte Wirkung zu erzeugen)
  5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Konsums, erhöhter Zeitaufwand zur Beschaffung beziehungsweise zur Erholung von den Konsumfolgen
  6. Anhaltender Konsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (zum Beispiel Leistungsabfall, Arbeitsplatzverlust, körperliche Folgeschäden, depressive Verstimmungen)
Tabelle: Liebchen+Liebchen GmbH

EINSCHÄTZEN DER SITUATION ALS „EINGREIFEN ERFORDERLICH“

Eine Alkoholkrankheit lässt sich kaum dauerhaft verbergen. Ein aufmerksamer Dritter stellt dies bei alltäglichen Handlungen, aber auch bei der Arbeitsleistung fest. Es zeigen sich verschiedene Auffälligkeiten:

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AUFFÄLLIGKEITEN IM ARBEITSKONTEXT

  • Fehltage ohne ärztlichen Nachweis, oft durch Dritte entschuldigt
  • fehlerhafte Arbeitsergebnisse
  • Unzuverlässigkeit, Termine werden nicht eingehalten, zu spätes Erscheinen, Überziehen von Pausen
  • Entfernen vom Arbeitsplatz während der Arbeit, Arbeitsende wird vorgezogen
  • Unkonzentriertheit, Nervosität, Unruhe
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AUFFÄLLIGKEITEN IM SOZIALVERHALTEN

  • gesteigerte Aggressivität
  • zunehmende Kritikunfähigkeit
  • Schuld an Fehlern sind andere oder „besondere Umstände“
  • zunehmender sozialer Rückzug, Isolation
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AUFFÄLLIGKEITEN IM ÄUSSEREN ERSCHEINUNGSBILD

  • ungepflegtes Erscheinungsbild
  • Schweißausbrüche, Zittern der Hände
  • verlangsamte Sprache
  • Schwierigkeiten beim Gehen, Gleichgewichtsprobleme
  • aufgedunsenes Gesicht, gerötete Gesichtsfarbe, glasige Augen
  • häufige, starke Müdigkeit
  • Alkoholfahne, die ggf. mit Parfüm /Rasierwasser / Kaugummi kaschiert wird

VORSICHT VOR CO-VERHALTEN

Das Miteinander im Arbeitsleben vereinfacht den Umgang mit einem Betroffenen nicht. Das liegt zum einen daran, dass sich jede einzelne Situation irgendwie rechtfertigen lässt. Zum anderen stellt man häufig aus Gründen der Unsicherheit oder vermeintlichen Fairness die eigene Beurteilung der Situation, der Arbeitsleistung und der beobachteten Auffälligkeiten infrage. Nicht selten decken Mitarbeiter ihren suchtkranken Kollegen aus falsch verstandener Loyalität. Es erfolgt das sogenannte Co-Verhalten, welches das problematische Konsumverhalten des Betroffenen begünstigt und stabilisiert sowie dessen Motivation verzögert, aktiv etwas gegen das eigene Problemverhalten zu unternehmen.

NICHT SELTEN DECKEN MITARBEITER IHREN SUCHTKRANKEN KOLLEGEN AUS FALSCH VERSTANDENER LOYALITÄT

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VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN

Um arbeitsrechtliche Konsequenzen, die das Co-Verhalten auslösen, zu vermeiden, ist ein frühzeitiges Handeln – schon in der Phase des riskanten, unangemessenen Konsums – notwendig. Hier ist eine Einstellung erforderlich, die auf der Einsicht basiert: Mein Kollege hat ein Alkoholproblem, er benötigt Hilfe. Wer Personalverantwortung trägt, ist für das Eingreifen verantwortlich. Besser zu früh als zu spät ist das Gespräch zu suchen, in dem die KLARe Haltung (Konsequent, Loslassen, Abgrenzen, Reden / Ruhe) kommuniziert wird. Das KLAR-Modell gibt Hinweise auf ein erfolgreiches Erstgespräch.

DAS KLAR-MODELL

Abbildung: RHJ & Liebchen+Liebchen GmbH

In einem vertraulichen persönlichen Gespräch werden die festgestellten Auswirkungen neu­tral, eindeutig und konsequent angesprochen. Zum Abschluss muss eine Vereinbarung stehen, mögliche Missverständnisse sind auszuräumen. Dabei können und sollen durchaus gegenseitig Sympathie und die Hoffnung auf eine weitere, dauerhafte Zusammenarbeit ausgedrückt werden, wobei das Aufzeigen möglicher Konsequenzen nicht fehlen sollte.

EINGREIFEN

Je eher eingegriffen wird, umso besser, vor allem für den Betroffenen. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet den Arbeitgeber zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes, um die Sicherheit und Gesundheit des Beschäftigten zu schützen und eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit anzustreben (§ 3 ArbSchG). Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren müssen ermittelt, beurteilt und dokumentiert werden (§§ 5, 6 ArbSchG).

Bei einem offensichtlichen alkoholisierten Zustand ist die Ausführung der Arbeit unmöglich. Nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch bei Fahrten mit Firmenfahrzeugen für den Betrieb oder die private Fahrt nach Hause ist unmittelbares Handeln unabdingbar. Hier kommt die „Fürsorgepflicht“ zum Tragen. Das Eingreifen an dieser Stelle ist durch die Unfallverhütungsvorschriften der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und durch das Strafgesetzbuch (StGB) geregelt.

VORGESETZTE MÜSSEN BESCHÄFTIGTE BEI RISKANTEM ALKOHOLKONSUM AUS GEFAHRENBEREICH ENTFERNEN

Die DGUV Vorschriften verbieten zum einen Versicherten, sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen und Medikamenten in einen Zustand zu versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden (§ 15 DGUV Vorschrift 1). In diesem Sinne greifen die DGUV Vorschriften auch in das Privatleben ein, und zwar dann, wenn der Alkoholkonsum zwar in der Freizeit stattgefunden hat, sich aber auf die Arbeit auswirkt. Unternehmer dürfen Arbeitnehmer, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, nicht beschäftigen.

Daraus ergibt sich die Pflicht für den Unternehmer beziehungsweise den Vorgesetzten, den Beschäftigten bei riskantem Alkoholkonsum aus dem Gefahrenbereich zu entfernen. Zusätzlich ergibt sich eine Handlungspflicht aus § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung), wenn sich der Arbeitnehmer in einer hilflosen Lage befindet, also beispielsweise aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums nicht in der Lage ist, seinen ­Heimweg ­eigenständig anzutreten. Im Zweifelsfall sollten der betroffenen ­Person die Fahrzeugschlüssel abgenommen, ein Taxi gerufen oder die Person aktiv nach Hause begleitet werden.

WEITERES VORGEHEN

Alkoholismus ist eine Krankheit, die der Heilung bedarf. Die wenigsten Betroffenen können aus eigenem Entschluss mit dem Trinken aufhören und quasi aus dem Stand heraus wieder die vorherige Arbeitsleistung erbringen. Oft sind langfristige Rehabilitationsmaßnahmen unabdingbar, die von den Krankenkassen und vor allem von den Rentenversicherungsträgern übernommen werden. Für Unternehmen sind die Vorgaben des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX zu beachten, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind.

INTERVENTIONSGESPRÄCHE SOLLEN AUFEINANDER AUFBAUEN

Schon bevor es eventuell so weit kommen muss, können betriebsintern Interventionsgespräche geführt werden. Diese Gespräche sollten stufenweise aufeinander aufbauen. Während das Gespräch auf Stufe 1 im persönlichen Rahmen zwischen dem Vorgesetzten und der betroffenen Person stattfindet, werden bei wiederholten Vorfällen je nach Größenordnung des Betriebs die Personalabteilung, der Betriebsrat und Suchtbeauftragte hinzugeholt.

Das Ziel der weiteren Gespräche muss es sein, den Betroffenen mit den Auffälligkeiten konsequent zu konfrontieren, konkrete Hinweise und Aufforderungen der Hilfe und Therapie zu geben und dem Betroffenen klarzumachen, dass er seinen Arbeitsplatz gefährdet. Als Konsequenz wird auf der letzten Stufe der Interventionsgespräche deutlich vermittelt, dass der Betroffene seinen Arbeitsplatz nur behalten kann, wenn er sich unverzüglich in Therapie begibt.

Abmahnungen sind zulässig, wenn objektive Verletzungen der Vertragspflichten vorliegen, zum Beispiel bei der Verletzung von Melde- oder Nachweispflichten im Zuge der Arbeitsunfähigkeit. Kündigungen können unter der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen sowohl verhaltensbedingt als auch krankheitsbedingt erfolgen.

Text: Nora Walter und Thomas Schneider