„Abtauchfunktion“ macht Kreissägen sicher

Bei der Arbeit mit Kreissägen kann es zu schweren Verletzungen kommen. Die Firma Altendorf aus Minden hat ein Sicherheitssystem entwickelt, das Handunfällen vorbeugen soll.

Kaum eine Tischlerei oder Schreinerei kommt ohne sie aus: Formatkreissägen, mit denen die Werkstoffe viel präziser zugeschnitten werden können als mit einer Tischkreissäge, gehören in holz- und metallverarbeitenden Betrieben zu den wichtigsten Werkzeugen. Ein Blick in die Unfallstatistik zeigt aber auch, dass sie zu den gefährlichsten Werkzeugen gehören. Im Jahr 2020 verzeichnete die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) 2.132 Arbeitsunfälle mit Tisch- oder Formatkreissägen. 107 dieser Unfälle führten zu neuen Unfallrenten, sie waren also mit schweren Verletzungen wie verletzten oder gar abgetrennten Fingern verbunden. Der Anteil an schweren Unfällen ist im Vergleich zu anderen stationären Arbeitsgeräten wie Schneide-, Fräs-, Bohr- oder Schleifmaschinen sehr hoch. Mit dem „Hand Guard“ will die Altendorf GmbH das Arbeiten mit Formatkreissägen künftig sicherer machen.

DER „HAND GUARD“ IST MIT DEM DEUTSCHEN ARBEITSSCHUTZPREIS AUSGEZEICHNET WORDEN

Die bisherigen Sicherheitssysteme bestehen darin, Finger zu erkennen, die sich am oder unmittelbar vor dem Sägeblatt befinden. Dann schaltet das System die Säge ab. Diese Reaktion erfolgt also recht spät. Mitunter zu spät, um Handverletzungen sicher zu verhindern. Noch dazu geht mit der abrupten Notfallabschaltung oft auch die Beschädigung des Werkstücks oder der Maschine einher.

„Es hat uns keine Ruhe gelassen, dass bestehende Sicherheitssysteme immer erst einsetzen, nachdem der Unfall passiert ist, und gleichzeitig auch noch Teile der Maschine zerstören. Unser Ziel war es, früher anzusetzen“, sagt Karl-Friedrich Schröder, Leitung Forschung und Entwicklung bei Altendorf. Als Ergebnis ist nun der „Hand Guard“ auf dem Markt, für den Altendorf den Deutschen Arbeitsschutzpreis 2021 in der Kategorie „Betrieblich“ gewann.

ZWEI KAMERASYSTEME SORGEN FÜR DIE FRÜHERKENNUNG

Mehr als drei Jahre arbeitete Altendorf in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) und der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) am innovativen Sicherheitssystem für Formatkreissägen, analysierte dafür Unfallhergänge und Unfallursachen. „Wir sehen ‚Hand Guard‘ als wesentlichen Beitrag zur deutlichen Verbesserung der Arbeitssicherheit unserer Kunden und als Bestätigung unserer Arbeit“, freut sich Schröder über die Auszeichnung mit dem Arbeitsschutzpreis.

Das patentierte Früherkennungssystem ist mit zwei Kamerasystemen ausgerüstet. Dieses optische System ist weltweit einmalig auf dem Markt und gilt laut Altendorf „in der Branche als der sicherheitstechnische Durchbruch im Bereich der Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) während der Anlernphase der Handerkennung“. Dank einer speziellen Software erkennt „Hand Guard“ potenzielle Gefahren lange vor Eintritt einer möglichen Verletzung. „Wir wollten in erster Linie Unfälle vermeiden, also den Bediener schützen“, erläutert Schröder.

Foto: Altendorf GmbH
Foto: Altendorf GmbH

Das grüne Licht signalisiert: Alles in Ordnung, die Hände befinden sich nicht im Gefahrenbereich, mit der Säge kann das Werkstück bearbeitet werden. Beim zweiten Bild befindet sich die Hand zu nah an der gefährlichen Zone. Das Licht ist auf Rot gesprungen, das Sägeblatt ist abgeschaltet und binnen einer Viertelsekunde bereits unter den Bearbeitungstisch abgesenkt worden.

Technisch funktioniert das System so: Der gesamte Arbeitsbereich wird durch zwei Kameras oberhalb der Tischplatte überwacht. Von zwei Rechnern werden Positionen und Bewegungen der Hände ermittelt. Erkennt das System eine Gefährdung, wird der Anwender zunächst gewarnt, zum Beispiel ändert das Lichtband an der Schutzhaube die Farbe von Grün auf Gelb.

Der große Erfassungsbereich der Kameras ermöglicht eine sehr frühe Erkennung der Gefährdung und somit eine rechtzeitige Auslösung der Sicherheitsmaßnahmen, um auch bei schnelleren Bewegungen jedwede Verletzung zu vermeiden. Bei einer akuten Gefährdung von Fingern oder der Hand senkt sich das Sägeblatt innerhalb einer Viertelsekunde ab – auch wenn sich die Hand sehr schnell nähert. Das Sägeblatt taucht sofort unter den Bearbeitungstisch ab und stellt für den Anwender keine Gefahr mehr dar. Sägeblätter, die aufgrund des Durchmessers nicht vollständig unter der Tischplatte versenkt werden ­können, werden in weniger als einer Sekunde abgebremst. Beide Sicherheitsmaßnahmen funktionieren auch, wenn das Sägeblatt für schräge Schnitte geschwenkt ist.

SÄGEBLATT SENKT SICH BEI GEFÄHRDUNG INNERHALB EINER VIERTELSEKUNDE AB

Da weder Mensch noch Maschine beschädigt werden, kann der Bediener nach dem Vorfall direkt an der Säge weiterarbeiten. Das System „Hand Guard“ funktioniert für Sägeblattgrößen bis zu einem Durchmesser von 550 Millimetern und mit allen Werkmaterialien, also zum Beispiel mit Aluminium, Kunststoff und feuchtem Holz. Da die Erkennungstechnik optisch und nicht sensorisch funktioniert, erkennt das System auch Gefahrensituationen, sollte der Bediener die ebenfalls angelernten Arbeitshandschuhe tragen. Hierbei sind jedoch die jeweils geltenden Vorschriften zu beachten.

Text: Holger Schmidt