Nichts geht mehr

Arbeitsschutz in Spielcasinos, Spielhallen und Wettbüros bedeutet vor allem, Anreize für Raubüberfälle zu vermeiden.

160 Millionen Dollar im Tresor können die kriminelle Energie und Fantasie schon einmal beflügeln. Und tatsächlich gelingt George Clooneys Bande ja mit einigen Tricks und Kniffen auch der große Coup, das Casino in Las Vegas auszurauben. Fragt man Carsten Wilken, der als Koordinator für technisches Controlling für die vier Standorte der Spielbank Hamburg arbeitet, sieht der Alltag dann aber doch etwas gemäßigter aus als im Film „Ocean‘s Eleven“. „Es passiert nicht jeden Tag, dass sich Räuber vom Kronleuchter abseilen“, sagt er augenzwinkernd. Dass Casinos heutzutage nur noch selten überfallen werden, liege an den hohen Sicherheitsstandards, ähnlich wie in Bankfilialen, sagt Wilken. Dazu gehören Videoüberwachung und Sicherheitspersonal sowie Alarm- und Einbruchstechnik.

Alle paar Jahre gibt es dann aber doch eine Schlagzeile wegen eines Raubüberfalls auf ein Casino. Ende Mai 2019 wurde auch einer der Standorte der Spielbank Hamburg überfallen. Es war kurz nach Mitternacht, als zwei Täter am Seitenausgang des Casinos an der Mundsburg lauerten. Sie drängten einen Mitarbeiter und dessen Kollegin zurück ins Gebäude, drückten den Mann auf den Boden und zwangen die Frau, den Tresor zu öffnen.

Roulettetisch Casino
Nicht jeder darf in der Spielbank Hamburg beim Roulette, das im Casino zum „Großen Spiel“ zählt, sein Glück versuchen. Foto: Spielbank Hamburg

UNTERWEISUNG ZEIGT HANDLUNGSSTRATEGIEN FÜR DIE ÜBERFALLSITUATION

Ein Raubüberfall ist eine lebensbedrohende Situation und ein absolutes Extremereignis für das Überfallopfer. Um darauf bestmöglich vorbereitet zu sein, müssen alle, die in einer Spielstätte arbeiten und Umgang mit Bargeld haben, halbjährlich unterwiesen werden. Die Unterweisung zeigt Handlungsstrategien für die Überfallsituation, schließt Deeskalationstaktiken ein und klärt darüber auf, welche Folgen Überfälle haben können, etwa posttraumatische Belastungsstörungen.

DIE SEITENTÜR WIRD NICHT MEHR ALS AUSGANG BENUTZT

Raubüberfälle gelten auch dann als Arbeitsunfall, wenn keine körperliche Verletzung stattgefunden hat, da eine Traumatisierung nicht ausgeschlossen werden kann, die sich oft auch erst später zeigt. Das geltende Regelwerk umfasst die Vorschrift „Überfallprävention“ (DGUV Vorschrift 25) und die Regel „Überfallprävention in Spielstätten“ (DGUV Regel 115-004), die von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) erarbeitet und vergangenes Jahr aktualisiert wurden.

Wie sich Beschäftigte und Betrieb während und nach Überfällen verhalten sollen, dazu finden sich auf der Branchen-Webseite der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) Videos und Leitfäden. Während eines Überfalls sollten Mitarbeiter demnach versuchen, den Schreck zu überwinden und handlungsfähig zu bleiben. Möglichst ruhige Bewegungen und Sprache würden signalisieren, dass sie den Anweisungen Folge leisten. Alarm sollte nur dann ausgelöst werden, wenn das gefahrlos möglich ist. Keinesfalls sollten Mitarbeiter sich oder andere durch Gegenwehr in Gefahr bringen.

Diesen Grundsatz lehrt auch die Spielbank Hamburg immer wieder. „Wir sagen unseren Mitarbeitern, dass ihr Leben und das der Gäste an oberster Stelle steht und sie keinerlei Risiko eingehen sollen“, erklärt Carsten Wilken. Der Geldschaden sei versichert.

Mit Blick auf den Überfall vor etwas mehr als zweieinhalb ­Jahren sagt Wilken über die beiden Angestellten: „Zum Glück ist ihnen körperlich nichts passiert.“ Auch seelisch hätten sie die Geschehnisse anscheinend gut verkraftet. Zu diesem Schluss kommt Wilken durch Gespräche, die seitdem mit ihnen geführt wurden. „Beide wollten schnell von sich aus wieder genau im selben Bereich arbeiten“, sagt er.

Die Sicherheitslücke, eine schlecht einsehbare Seitentür, an der die maskierten Männer warteten und ins Haus gelangten, ist behoben. Die Tür werde heute nicht mehr als Ausgang genutzt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreten und verlassen das Gebäude seit dem Überfall nur noch über den Haupteingang.

Casino Hamburg
Im Mai 2019 wurde ein Standort der ­Spielbank Hamburg überfallen. Foto: Spielbank Hamburg

DER UMGANG MIT SCHWIERIGEN GÄSTEN GEHÖRT IN CASINOS ZUM ALLTAG

Um ihr Sicherheitsgefühl zu erhöhen, wurden die beiden Mitarbeiter nach Feierabend von Security-Mitarbeitern zum Parkhaus begleitet und mit Schrill-Alarmen ausgestattet. Nach einiger Zeit hätten sie dann geäußert, dass sie nicht mehr begleitet werden möchten. „Sie wollten wohl das Gefühl der Normalität zurückhaben“, sagt Wilken.

Spielautomaten Casino
„Bargeldlose“ Spielhallen mit vernetzten Geldwechsel-Automaten und Spielgeräten tragen zur Sicherheit bei. Foto: Spielbank Hamburg

Alltäglicher als Raubüberfälle ist in Spielbanken der Umgang mit schwierigen Gästen. Damit es beim „Großen Spiel“, etwa beim ­Roulette oder Blackjack, bei dem mehrere Gäste und die Bank gegeneinander spielen, zu möglichst wenig Konflikten kommt, wird gar nicht erst jeder ins Gebäude vorgelassen. „Eine externe Security-Firma beobachtet, ob Gäste einen aggressiven Eindruck machen, stark angeheitert sind oder unter Drogeneinfluss stehen, und nimmt Gruppen beiseite, von denen sie vermutet, dass manche Mitglieder noch nicht volljährig sind“, erklärt Wilken. Auch Gäste, die die Kleiderordnung nicht einhalten, werden schon an der Tür abgewiesen. Smoking oder Sakko sind zwar nicht mehr vorgeschrieben, aber Flipflops, Muskelshirt oder weit aufgeknöpfte Hemden sind auch nicht erwünscht.

Eine wichtige Rolle spielen im nächsten Schritt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Rezeption, die den Ausweis mit der Datenbank abgleichen und verhindern sollen, dass für Glücksspiel gesperrte Gäste reinkommen oder solche, die Hausverbot haben. „Es gibt oft extrem stressige Situationen, manche Gäste rennen uns schon vor dem Öffnen die Tür ein“, erzählt Wilken. „Freundlichkeit ist hier das beste Mittel.“ Es gehe darum, zu deeskalieren und gegebenenfalls auch internationalen Gästen verständlich zu machen, warum sie abgewiesen werden.

KOMMT ES ZU SCHWIERIGKEITEN, HOLEN DIE MITARBEITER DEN SECURITY-DIENST DAZU

Im Saal selbst bewegen sich mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter permanent durch den Raum. „Sie haben ein Gespür dafür, wer Ärger machen oder manipulieren könnte“, sagt ­Wilken. Von der studentischen Aushilfe bis zum langjährigen Mitarbeiter gebe es eine große Bandbreite. „Da ist für jeden Problemgast ein Ansprechpartner dabei.“

Kommt es trotzdem zu Schwierigkeiten, reiche es meist aus, wenn ein zweiter Casino-Mitarbeiter dazustoße. Bleibe der Gast immer noch uneinsichtig, werde der Security-Dienst dazugeholt, der in ein paar Metern Abstand schon durch seine Präsenz eine gewisse Wirkung habe. „Es kommt ganz selten vor, dass jemand einen Sicherheitsmitarbeiter angreift – und wenn doch, ist in drei Minuten die Polizei da“, sagt Wilken.

Bewaffnet sind weder Mitarbeiter noch der Security-Dienst. „Am Körper getragene Waffen wirken meist nicht deeskalierend, sondern können dazu führen, dass der Mensch sich stärker fühlt, was zu gefährlichen Situationen mit Unbeteiligten führen kann“, sagt Wilken. Nur die Fahrer des Geldtransporters tragen eine Schusswaffe, wenn sie ins Haus kommen.

Als größte Herausforderung in seinem Job sieht Wilken die Gefahr, betriebsblind zu werden. Deswegen werde die Sicherheit immer wieder auch durch Externe auf den Prüfstand gestellt. Bei einer Begehung fiel einem Polizisten aus der Präventionsabteilung zum Beispiel eine Leiter auf – eine Einladung für Einbrecher, die sich über den Balkon leicht Zugang zum Casino hätten verschaffen können. Seitdem ist die Leiter sicher deponiert, auch wenn sie der Hausmeister gelegentlich benötigt.

Deutlich häufiger als Spielbanken werden Wettbüros und Spielhallen überfallen, obwohl die Beute hier meist nur wenige hundert Euro beträgt. Auch die Kundschaft ist hier oft schwieriger. Denn anders als in Spielbanken gibt es in dieser Art der Spielstätten keine Einlasskontrolle und häufig auch keine Security. Um den Anreiz zu vermindern, dass es überhaupt zu Überfällen kommt, gibt es eine Reihe von Maßnahmen nach dem STOP-Prinzip, also Substitution, technische, organisatorische und personelle Maßnahmen.

Karten, Spielgeld Casino
Wenn mehrere Gäste gegeneinander oder gegen die Bank spielen, kann es zu Konflikten kommen. Foto: Spielbank Hamburg

„Da die ‚Gefahrenquelle‘ Täter nur bedingt berechenbar ist, ist der wirksamste Präventionsansatz, dass Täter keine Beute machen können“, sagt Bernd Marquardt, technische Aufsichtsperson in der Präventionsabteilung der VBG. In Spielhallen wechsle häufig noch die Servicekraft Banknoten in Münzen und in Wettbüros würden Gewinne bar ausgezahlt. Das Geld werde meist in Kassenladen aufbewahrt, ähnlich wie sie auch in Supermärkten zu finden sind. „Wenn Mitarbeiter aber keinen Zugriff auf Geld haben, dann wird der Überfall für einen potenziellen Täter unattraktiv und er lässt sich so mit großer Wahrscheinlichkeit von seinem Vorhaben abbringen“, sagt Marquardt. Beispiele dafür sind „bargeldlose“ Spielhallen mit vernetzten Geldwechsel-Automaten und Spielgeräten, ähnlich wie SB-Automaten in Banken. Die Automaten selbst werden dann nicht durch die Servicekraft befüllt oder entleert.

Ein Beispiel für technisch-organisatorische Maßnahmen sind Zeitverschlussbehältnisse, die zur Folge haben, dass Täter nicht sofort große Beute machen können. Carsten Wilken von der Spielbank Hamburg sieht Tresore mit Zeitschloss allerdings auch kritisch. „Sie wirken erst mal abschreckend. Aber Mitarbeitern kann mehr passieren, wenn Täter unter Druck stehen“, sagt er.

Hinsichtlich der personellen Maßnahmen rät Marquardt, Mitarbeiter bestmöglich auf Situationen wie Raubüberfälle oder Eskalationen mit Kunden vorzubereiten, um Herr der Situation zu bleiben – allerdings ohne Gegengewalt einzusetzen. Wie Wilken lehnt er es kategorisch ab, dass Mitarbeiter Waffen tragen. Zu groß sei die Gefahr, dass die Situation eskaliere und Mitarbeiter selbst verletzt würden.

Dass ein Kunde unzufrieden wird, wenn er keine Gewinne macht, kommt laut Bernd Marquardt relativ häufig vor. Beim „Kleinen Spiel“ sitzt ein Spieler allein am Automaten. Hier werden durchschnittlich etwa 95 Prozent des Einsatzes pro Spiel wieder ausgeschüttet, allerdings umverteilt ­zwischen den Spielern. Schnell stehe der Vorwurf der Automaten-Manipulation im Raum, der sich auch gegen die Angestellten richten könne. Wichtig sei ein gutes Selbstmanagement, also dass man sich nicht durch den anderen in eine Eskalationsspirale drängen lasse.

Die VBG empfiehlt in diesem Fall, nach dem „Dicken-Fell-Prinzip“ zu agieren. Dazu gehöre, dass man die eigene emotionale Befindlichkeit beeinflusst, indem man Ruhe bewahrt und sich nicht provozieren lässt. Mitarbeiter sollten sich in die andere Perspektive hineinversetzen, um Verständnis für die Gründe der Emotionen aufzubringen.

BEWUSSTES WEGHÖREN UND WEGSEHEN HILFT, DIE EIGENE AGGRESSIONSTOLERANZ ZU ERHÖHEN

Lässt sich der Gast trotzdem nicht beruhigen, sollten Mitarbeiter das nicht auf sich beziehen und versuchen, Gedanken wie „Obwohl ich hier stehe, macht er das“ zu vermeiden, um die eigene Frustrationsschwelle zu erhöhen. Bewusstes Weghören und Wegsehen helfe, die eigene Aggressionstoleranz zu erhöhen. Allerdings sollten Mitarbeiter nicht mit dem Kunden verhandeln, sondern auf die Hausregeln verweisen, die sich aus den Gesetzen ableiten. Etwa mit Sätzen wie: „Wenn Sie sich nicht beruhigen, müssen Sie leider gehen.“ Befolge der Gast die Anweisungen nicht, empfiehlt Marquardt, andere Mitarbeiter dazuzuholen. Sollte das immer noch keine Wirkung zeigen, sollte man ankündigen, die Polizei zu rufen – und das dann auch tun.

Text: Katharina Müller-Güldemeister