Sicher unterwegs im Ausland

Von Amsterdam bis Zürich: Die Globalisierung und die internationale Verflechtung der Arbeit führen dazu, dass immer mehr deutsche Unternehmen im Ausland tätig sind und ihre Beschäftigten dorthin zur Arbeit senden. Doch wie sieht es mit dem Versicherungsschutz beim internationalen Mitarbeitereinsatz aus?

Die Frage nach dem internationalen Versicherungsschutz regeln unter anderem die europäischen Verordnungen (EG) Nr. 883 / 2004 und Nr. 987 / 2009, die sich auf die Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit der EU-Mitgliedstaaten, der EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen sowie auf die Schweiz beziehen. In der nationalen Gesetzgebung regelt das Sozialgesetzbuch (SBG) IV und darin Paragraf 4 den Versicherungsschutz für Tätigkeiten im Ausland. Zusätzlich unterhält die Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten Abkommen über soziale Sicherheit, die Regelungen zum gesetzlichen Unfallversicherungsschutz enthalten.

„Kommt es grenzübergreifend zu einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit, wird über diese Vorschriften festgestellt, welches Sozialversicherungsrecht im konkreten Fall Anwendung findet. Mithilfe dieser Regelungen werden auch die Leistungen an die Betroffenen zwischen den Staaten koordiniert“, sagt Ann-Kathrin Schäfer, Referatsleiterin Internationales Sozialrecht und Europarecht der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). „Bei den zu erfüllenden Voraussetzungen ist entscheidend, ob wir uns im überstaatlichen, zwischenstaatlichen oder nationalen Recht bewegen.“

DIE DAUER UND DER ORT DES AUFENTHALTS SIND ENTSCHEIDEND

Worauf es für den Versicherungsschutz ankommt, sind vor allem zwei Dinge: die Dauer und der Ort des Auslandsaufenthalts. Dauert der Auslandsaufenthalt höchstens 24 Monate und findet in einem der EU-Mitgliedstaaten, in einem der EWR-Staaten oder in der Schweiz statt, ist die beschäftigte Person gesetzlich unfallversichert, wenn sie vom Arbeitgeber dorthin entsandt wurde. Bei einer Entsendung in ein Land, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen, das auch die Unfallversicherung regelt, abgeschlossen wurde, oder in „vertrag­loses“ Ausland unterscheiden sich diese Voraussetzungen. Bei Entsend­ungen in „vertragsloses“ Ausland kann es darüber hinaus zu Doppelversicherungen kommen, wenn dessen Recht den Entsandten bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten schützt. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Wie in Deutschland gilt auch bei einem Auslandseinsatz: Bei Unfällen in der Freizeit gibt es keinen Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung.

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IM VORFELD PRÄVENTIVE MASSNAHMEN ERGREIFEN

„Auch bei Entsendungen in Krisenregionen oder Länder, für die es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gibt, kommt es im ersten Schritt darauf an, welches Sozialversicherungsrecht bei der jeweiligen Entsendung Anwendung findet“, erklärt Schäfer. „Im zweiten Schritt würde die Überlegung, wie sich das erhöhte Risiko auf den Versicherungsschutz der entsandten Personen auswirkt, anstehen. Es würde zu prüfen sein, ob es Sondervorschriften oder einschläg­ige Rechtsprechung für diese Fälle gibt.“ Generell sollten Unternehmen, die ihre Beschäftigten in Krisengebiete entsenden, im Vorfeld präventive Maßnahmen ergreifen, insbesondere die Beschäftigten beraten. Die Unfallkassen und Berufsgenossenschaften helfen bei speziellen versicherungs- und leistungsrechtlichen Fragen.

Doch welche Arbeitsschutzregeln gelten für Beschäftigte, die ins Ausland entsandt werden? Entscheidend für die Antwort auf diese Frage ist, ob das Arbeitsverhältnis unter das deutsche Arbeitsrecht fällt. „Wenn dieses Anwendung findet, ist das Unternehmen gegenüber seinen Beschäftigten arbeitsschutzrechtlich während des gesamten Auslandseinsatzes verpflichtet. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ins Ausland entsandt werden, haben dort Anspruch auf ein Arbeitsschutzniveau, wie es in Deutschland rechtlich vorgegeben ist“, betont Schäfer. Die rechtliche Grundlage seien die staatlichen Vorschriften und die Regelwerke der gesetzlichen Unfallversicherung. „Oft sind ergänzend die Arbeitsschutzvorschriften des Staates zu beachten, in den die ­Entsendung erfolgt.“

Bei einer Auslandstätigkeit innerhalb der EU ist diese Frage ohnehin weniger relevant, da große Teile des jeweiligen nationalen Arbeitsrechts europäisch geprägt sind. Viele Regelungen basieren auf europäischen Richtlinien, wie zum Beispiel zur Arbeitszeit oder zur Arbeit an Bildschirmgeräten, die einen Mindeststandard vorgeben. „Je nach Staat kann es vorkommen, dass Arbeitsschutzinstitutionen einen gewissen Spielraum lassen. Während beispielsweise eine Gefährdungsbeurteilung, die ein Unternehmen nach deutschen Standards erstellt hat, in dem einen Land akzeptiert wird, kann es in einem anderen Land Schwierigkeiten geben“, erläutert Schäfer. Sowohl die DGUV als auch die Berufsgenossenschaften können bei Unklarheiten über die jeweiligen arbeitsschutzrechtlichen Besonderheiten vor einer Entsendung ins Ausland zurate gezogen werden.

INNERHALB DER EU SIND KEINE BÖSEN ÜBERRASCHUNGEN ZU ERWARTEN

Kommt es trotz aller Präventions- und Schutzmaßnahmen zu einem Arbeitsunfall, der sogar eine Behandlung oder gar Rehabilitation erforderlich macht, ist es wieder entscheidend, in welches Land die beschäftigte Person entsandt wurde. „Im EU-Recht und den meisten Abkommen über soziale Sicherheit, in die die Unfallversicherung einbezogen ist, sind Regelungen enthalten, die es ermöglichen, Leistungen der Heilbehandlung aushilfsweise zu erbringen“, sagt DGUV-Expertin Schäfer. Personen, die während dieses Aufenthalts der deutschen Unfallversicherung unterstehen oder die aufgrund eines früher eingetretenen Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit Ansprüche gegenüber einem deutschen Unfallversicherungsträger haben, können Sachleistungen von den Versicherungsträgern des jeweiligen Aufenthaltsstaats erhalten. Mit einer Einschränkung: „Leistungsumfang und Zeitraum richten sich nach den Rechtsvorschriften des Aufenthaltsstaats“, so Schäfer. Die verunfallte Person muss unter Umständen eine Einschränkung des Leistungsumfangs der Heilbehandlung hinnehmen. Wird eine Selbstbeteiligung verlangt, die das deutsche Recht in einem vergleichbaren Fall nicht vorsehen würde, erstattet die betroffene Berufsgenossenschaft in der Regel den Betrag.

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Im außereuropäischen Ausland und in Ländern, mit denen kein Sozialversicherungsabkommen besteht, muss die verunfallte Person sich mithilfe ihres Arbeitgebers selbst um die ärztliche Versorgung kümmern. „Die selbst beschafften und privat bezahlten Sachleistungen aus Anlass eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit sollte der Arbeitgeber im Rahmen der allgemein bestehenden Fürsorgepflicht vorab begleichen“, sagt Schäfer und empfiehlt, dass über die vorläufige Übernahme von Kosten für Sachleistungen eine arbeitsvertragliche Regelung getroffen werden sollte. Die Belege über die von ihnen gezahlten Leistungen, könnten hinterher beim zuständigen Unfallversicherungsträger eingereicht werden. Eine Kostenerstattung erfolge im angemessenen Umfang, so Schäfer weiter.

Auf jeden Fall muss das Unternehmen dafür Sorge ­tragen, dass an der Arbeitsstelle Anschriften und Telefonnummern von vorhandenen Rettungsdiensten, Personen für Erste Hilfe, Betriebssanitäterinnen und -sanitätern, nächstge­legenen Krankenhäusern sowie die im Betrieb vorhandenen ­Erste-Hilfe-Einrichtungen gut sichtbar ausgehängt werden. Das Unternehmen muss diese Informationen – möglichst noch vor Reisebeginn, spätestens aber vor Arbeitsaufnahme im Ausland – ermitteln und den entsandten Beschäftigten mitteilen.

TIPPS FÜR DIE GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNG

Es ist hilfreich, sich für die Gefährdungsbeurteilung über die Einsatzbedingungen am Einsatzort beraten zu lassen, um die notwendigen Informationen zu erhalten. Mögliche Ansprechpersonen können der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin, der Partner im Ausland oder die deutsche Botschaft für das jeweilige Einsatzland sein.

FOLGENDE GEFÄHRDUNGEN UND BELASTUNGEN SOLLTEN SIE AUF JEDEN FALL BERÜCKSICHTIGEN:

Sicher unterwegs im Ausland

Reisezeit und -belastungen

Sicher unterwegs im Ausland

Arbeitsbedingungen und Arbeitsorganisation am Einsatzort

Sicher unterwegs im Ausland

klimatische Bedingungen vor Ort

Sicher unterwegs im Ausland

besondere Kleidung und persönliche Schutzausrüstungen (PSA)

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mögliche Infektionskrankheiten

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Arbeitsschutzvorschriften im Zielland und davon abhängig, in welchem Umfang deutsche Arbeitsschutzvorschriften anzuwenden sind

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Ernährungsbedingungen

Sicher unterwegs im Ausland

Situation der Krankenversorgung

Illustrationen: Liebchen+Liebchen GmbH

Zur Dokumentation der Weitergeltung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit und für den Anspruch auf aushilfsweise Versorgung mit Sachleistungen ist immer eine Bescheinigung mitzuführen, die Entsandte gleichzeitig von der Versicherungs- und Beitragspflicht im anderen Staat ­freistellt, rät Schäfer. „In den EU-Mitgliedstaaten, den EWR-Staaten und der Schweiz ist diese Bescheinigung das A1-Formular. Die Bescheinigung wird auf Antrag des Beschäftigten oder des ­Unternehmens von der deutschen Krankenkasse ausgestellt, bei der die Person versichert ist. Besteht kein Krankenversicherungsschutz, wird sie von der Deutschen Rentenversicherung Bund ausgestellt.“

BEI FRAGEN HILFT DIE BERUFSGENOSSENSCHAFT WEITER

Die europäische Krankenversicherungskarte gibt einen vorläufigen Anspruch auf Sachleistungen bei Arbeitsunfall oder Berufskrankheit. Diese kann bei der zuständigen Krankenkasse beantragt werden. Die spezielle Bescheinigung für einen Anspruch auf Sachleistungsaushilfe in der Unfallversicherung trägt für den EU-Bereich die Bezeichnung DA1. Sie wird nur infolge eines bereits eingetretenen Versicherungsfalls vom zuständigen Träger der gesetzlichen ­Unfallversicherung ausgestellt, um die gegebenenfalls erforderliche medizinische Versorgung im Ausland sicher­zustellen.

WEITERE INFORMATIONEN

Text: Falk Sinß