Alter(n)sgerechtes Arbeiten – eine Herausforde­rung für ­Unternehmen

Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, stetiger Wandel der Arbeitswelt, rasanter technischer Fortschritt (Stichwort: postindustrielles Zeitalter) und viele weitere Einflüsse prägen das Arbeitsleben unserer Zeit. All dies hat naturgemäß auch Auswirkungen auf Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten. Darauf müssen Unternehmen proaktiv und konsequent reagieren.

Die Auswirkungen der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft auf die Erwerbsbevölkerung werden in der aktuellen Erwerbspersonenvorausberechnung 20201 des Statistischen Bundesamtes ausführlich dargestellt. Darin wird deutlich: Im Jahr 2030 werden in Deutschland auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 65 Jahre) 47 Personen im Rentenalter (ab 65 Jahre) kommen. Im Jahr 2021 lag dieser Altenquotient bei 37, 1998 lag er noch bei 25. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Erwerbstätigen über 65 Jahren von vier auf acht Prozent verdoppelt. In der Gruppe der Hochqualifizierten sind es im Alter zwischen 65 und 69 Jahren sogar 26 Prozent.2 Das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen beträgt 44 Jahre, wobei die Schwankungsbreite je nach Berufsgruppe zwischen 31 und 53 Jahren liegt.3 Das einfache Fazit: Wenn die Menschen älter werden, werden die Beschäftigten nicht jünger.

Das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen beträgt 44 Jahre

Die unternehmerische Verantwortung für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (SGbA) erfordert in Anbetracht dieser Entwicklung einen deutlich erweiterten Blick. Aufgrund der bestehenden und zu erwartenden Entwicklung der Erwerbspersonen ist die Auseinandersetzung mit alter(n)sgerechtem Arbeiten kein Ü-60-Projekt, sondern betrifft alle Altersgruppen im Unternehmen gleichermaßen. Es geht grundsätzlich um eine Gestaltung der Arbeitsbedingungen, unter denen ein langes, gesundes und leistungsfähiges Berufsleben möglich ist. Alter(n)sgerechte Arbeit bedeutet demnach, Arbeitsinhalte, -abläufe, -mittel und -plätze der Leistungsfähigkeit aller Beschäftigten so ­anzupassen, dass für eine menschengerechte und verschleißmindernde Lebensarbeitszeit Sorge getragen ist.

Leistungsfähigkeit / Leistungsmöglichkeit

Altersgerechtes Arbeiten

Die psychische und physiologische Leistungsfähigkeit der Beschäftigten wandelt sich naturgemäß im Verlauf des Berufslebens individuell und unterschiedlich.

Die Grafik verdeutlicht eine erhebliche Streuung in der Abnahme der Fähigkeitskategorien. Das muss aber nicht unbedingt eine Leistungsreduzierung zur Folge haben, da wachsende fachliche Kompetenz beziehungsweise Erfahrung und soziale Kompetenzen zugleich die Leistungsstabilität unterstützen.

Wenn also diesem Auseinanderdriften von sich wandelndem Leistungsvermögen und den Anforderungen der Arbeitsaufgaben entgegengewirkt werden soll, ist die Organisation der alter(n)sgerechten Arbeit sowohl eine ständige Aufgabe der Personalentwicklung als auch des betrieblichen Arbeitsschutz- und Gesundheitsmanagements. Diese interdisziplinäre Vorgehensweise ist leider in vielen Betrieben noch unterentwickelt.

Von der Personalentwicklung erfordert es eine umfassende Analyse der vorhandenen Kompetenzen, eine möglichst exakte Stellenbeschreibung und verständliche Definitionen der daraus resultierenden Arbeitsaufgaben. Stehen die Qualifikationen der Beschäftigten und die Anforderungen der Arbeitsaufgaben im Einklang miteinander, können sich deren Potenziale auch entsprechend gut und nachhaltig entfalten.

Wenn dies in einen kontinuierlichen Prozess der Überprüfung und individuellen Begleitung der Beschäftigten (zum Beispiel Weiterbildung, Coaching, Training) eingebettet wird, sichert man mit dem zunehmenden Alter der Mitarbeitenden entsprechend die Passgenauigkeit zwischen Leistungsvermögen und Leistungsanforderungen. Das erfordert, sowohl Möglichkeiten und Bedingungen für eine kontinuierliche und bedarfsgerechte Qualifizierung der Beschäftigten zu schaffen als auch von den Mitarbeitenden die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen einzufordern.

Gesundheit der Mitarbeitenden

Eine auf dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) basierende Kernaufgabe der Arbeitgeber ist es, die Arbeitsplätze und -prozesse so zu gestalten, dass die physische und psychische Gesundheit der Arbeitskräfte gewährleistet ist und erhalten bleibt. Außerdem müssen sie dafür Sorge tragen, dass die Beschäftigten ihre Ressourcen angemessen einbringen, weiterentwickeln und gegebenenfalls anpassen können. Es handelt sich also um einen Schutz- und Förderungsaspekt.

Die alternativlose Grundlage dazu bildet die Beurteilung der Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung). Ausgehend von einem ganzheitlichen, systemischen Ansatz nimmt die Bundesvereinigung der Deutschen ­Arbeitgeberverbände (BDA) nicht nur die klassischen Einwirkungen (Gefährdungen) am Arbeitsplatz – wie etwa mechanische, ergonomische, physikalische Gefährdungen – in den Fokus, sondern bewertet gleichzeitig die psychischen wie physischen Belastungen und Beanspruchungen der Einwirkungen auf den Menschen. Ergänzt wird die systemische Vorgehensweise durch die individuelle Beurteilung der Ressourcen der Beschäftigten, um eine entsprechende Balance mit den Arbeitsanforderungen zu gewährleisten.5

Die systemische Herangehensweise erfordert mehr denn je eine enge, organisationsübergreifende Kooperation aller Beteiligten. Unternehmensleitung, Personalverantwortliche, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte und andere Akteure des Arbeitsschutzes sind aufgefordert, entsprechende Werte und Ziele zu definieren, wirksame Prozesse und Instrumente zu installieren, um eine gesunde, menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen voranzubringen.

Altersgerechtes Arbeiten: Schutz- und Förderungsaspekte

DER AUTOR:

Waldemar Junior leitet beim Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit (VDSI) den Fachbereich Demografie und Beschäftigungsfähigkeit. Er ist Experte auf den Gebieten Personalentwicklung und Training im verhaltensorientierten Arbeitsschutz (Behavior Based Safety – BBS).

Text: Waldemar Junior

1 Statistisches Bundesamt (Destatis): Erwerbspersonenvorausberechnung 2020 (www.destatis.de), 2020
2 Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis): Anteil von Menschen im Rentenalter, die erwerbstätig sind, hat sich binnen 10 Jahren verdoppelt , Pressemitteilung Nr. N 041 vom 24.06.2021, www.destatis.de
3 Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis): Erwerbstätige im Durchschnitt 44 Jahre alt, Pressemitteilung Nr. 448 vom 19.11.2018, www.destatis.de
4 Vgl. Frevel, A.: Demografie Wissen Kompakt 2014 – Werkzeuge für die betriebliche Demografieberatung, Dortmund 2014, www.beratung-arbeitsfaehigkeit.de
5 Vgl. VDSI (Hrsg.): Die systemische Beurteilung der Arbeitsbedingungen – Ein Praxisleitfaden für die Akteure in Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, VDSI-Info, , 02-2023, Wiesbaden