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Gamification – spielerisch den Arbeitsschutz erhöhen

Foto: AdobeStock/ebednarek
Stellen Sie sich das vor: Die Arbeitsschutzunterweisung steht auf der Agenda und die Teilnehmenden kommen gern, arbeiten mit, haben Spaß und lernen sogar noch etwas. Hand aufs Herz: Läuft es bei Ihnen so ab? Oder wird der Arbeitsschutz im Moment noch nicht so gelebt und wahrgenommen? Dann wäre Gamification eine geeignete Methode.
Spielerische Elemente nutzen, um ein ernstes Thema zu bearbeiten – das steckt kurz und knackig auf den Punkt gebracht hinter Gamification. Auch im beruflichen Umfeld, insbesondere im Bereich der Arbeitsschutzunterweisung, ist das ein interessanter Ansatz. Zumal Gamification kombiniert mit einer Prise Kreativität und Humor zu einer höheren Beteiligung und mehr Leichtigkeit bei einem vermeintlich trockenen Thema sorgt.
Der Umfang kann variieren: Vom fünfminütigen Online-Quiz über ein komplexes, ganztägiges Planspiel bis hin zum Jahreswettbewerb, bei dem Gruppen gegeneinander antreten und spielerisch Punkte sammeln können, ist alles denkbar. Außerdem funktionieren die meisten Spiele sowohl online als auch offline.
Das Prinzip dahinter: Gamification macht sich zunutze, dass Menschen gern spielen und im „Spielmodus“ offener und kreativer werden. So können Menschen für komplexe Themen begeistert und motiviert werden. Schließlich schafft Gamification eine emotionale Komponente, die im beruflichen Kontext zwischen Vorschriften und Anordnungen häufig fehlt.
Aus Sicht der Psychologie gilt es dabei vor allem eines zu berücksichtigen: Menschen haben unterschiedliche Motivationen. Die Bezeichnung der unterschiedlichen Motivationen (oder Motivationstypen) ist je nach Theorie unterschiedlich. Das ist aber gar nicht entscheidend – vielmehr geht es um den Inhalt: Einige Menschen streben nach Kompetenzerwerb, einige nach Einflussnahme und einige nach sozialem Anschluss. Übrigens: In der Praxis sind die meisten von uns „Motivations-Mischtypen“ mit unterschiedlich ausgeprägten Anteilen der drei Motivationen. Übersetzt in den Bereich Gamification bedeutet das: Es gibt Menschen, die beim Spielen etwas lernen und sich verbessern möchten. Eine zweite Gruppe zielt darauf ab, gegen andere zu gewinnen. Und eine dritte Gruppe genießt beim Spielen vor allem das soziale Miteinander.
Der aktuelle Megatrend Gamification
Gamification ist zurzeit ein Trendthema im Arbeitsschutz. Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe: Zum einen hat die Pandemie das Veranstaltungsmanagement verändert und zum anderen sind HSE-Fachpersonen und Sicherheitsfachkräfte heutzutage neugierig und offen bezüglich neuer Methoden.
Das Spielerische hat viel Potenzial, sich wieder als Team zu erleben
Durch die Pandemie wurden viele Veranstaltungen und Unterweisungen vollständig online durchgeführt. Allerdings funktioniert es nicht, Events eins zu eins von der analogen in die digitale Welt zu überführen. Es braucht mehr Kreativität in Online-Veranstaltungen. Auch hier können – und müssen – Emotionen übertragen werden. Hier besteht spielerisch viel Potenzial.
Gleichzeitig sehnen sich Menschen nach zwei Jahren Pandemie auch wieder nach einem Miteinander und Offline-Aktivitäten. Weg aus der Isolation und hin zu Verbundenheit. Auch hier hat das Spielerische viel Potenzial, auf einer anderen Ebene zusammenzukommen und sich wieder als Team zu erleben.
Zugleich wandelt sich die Rolle von HSE-Fachpersonen und Sicherheitsfachkräften. Bestehende Konzepte werden hinterfragt. Es besteht großes Interesse daran, Neues auszuprobieren und Elemente zu entdecken, die das Leben leichter und schöner machen. Gamification bietet dafür eine große Chance.
Das große Potenzial von Gamification
Wenn immer wieder der gleiche Foliensatz in einer Unterweisung gezeigt wird, schaltet das Gehirn der Beteiligten automatisch ab. Sie wechseln in den Schlafmodus. Schließlich kennen sie alles, was jetzt kommt.
Der Trick: Schon kleine Veränderungen können zu einem Überraschungseffekt führen. Spielerisch werden altbekannte Muster durchbrochen und neue Sichtweisen ermöglicht. Der Einsatz von Gamification erhöht die Aufmerksamkeit der Menschen deutlich.
Das Phänomen lässt sich auch psychologisch und neurophysiologisch erklären: Durch die soziale Interaktion beim Spielen haben Menschen gemeinsam Spaß und fühlen sich miteinander verbunden. Dies führt zur Ausschüttung von Glückshormonen sowie zu mehr Kreativität und Offenheit. So ist Gamification in der Lage, eine Eigendynamik auszulösen. Besonders wertvoll ist es, wenn Beteiligte selbstständig neue Ideen und Spiele weiterentwickeln.
Durch das gemeinsame spielerische Erarbeiten selbst eines komplexen Themas wie Arbeitsschutz wird also ein Erlebnis geschaffen. Nichtsdestotrotz kommt das Lernen der Inhalte dabei nicht zu kurz. Im Gegenteil: Auf diese Art und Weise werden Inhalte noch besser bei den Beteiligten gefestigt und können anschließend problemlos in der Praxis umgesetzt werden.
Vorbehalte gegen Gamification abbauen
Was aber, wenn Beschäftigte nicht direkt aufgeschlossen sind, sondern mit Skepsis oder gar Ablehnung reagieren? Zunächst einmal: Die meisten Menschen spielen gern – wenn der Rahmen stimmt. Manche sind jedoch vielleicht erst einmal skeptisch gegenüber der spielerischen Vorgehensweise von Gamification: Lieber würden sie die Unterweisungen auf „klassische“ Weise durchziehen, unterschreiben und das ganze Thema Arbeitsschutz schnell hinter sich bringen.
Sollten Sie als unterweisende Person Gamification einsetzen wollen, ist Ihre Einstellung zu der Methode von großer Bedeutung. Die Teilnehmenden merken sofort, wenn Sie Gamification selbst als unangenehm empfinden. Dann ist das Risiko groß, dass nicht gleich alle mitmachen wollen. Machen Sie sich klar, dass Sie sich in Ihrer Rolle wohlfühlen müssen. Sie sollten also ein Spiel wählen, das zu Ihnen passt und das Sie authentisch rüberbringen können. Wenn die Einstellung passt, wird es nicht viel Verweigerung geben.
Tatsache ist auch, dass Gamification im Arbeitsschutz nicht bedeutet, dass ab sofort immer und überall nur noch gespielt werden soll.
Es ist möglich und kann durchaus sinnvoll sein, eine Unterweisung mit einer frontalen Wissensvermittlung zu beginnen und erst später in den spielerischen Part überzugehen. Zusammengefasst ist Gamification also ein zentraler Bestandteil von Wissensvermittlung, der jedoch selten für sich allein steht.
Good-Practice-Beispiele für Gamification
So viel zur Theorie. Nun zur Praxis. Da gibt es viele Möglichkeiten, spielerischer im Arbeitsschutz zu werden – ohne unseriös zu sein. Wie zuvor erwähnt, ist es dabei wichtig, einen Ansatz auszuwählen, mit dem Sie sich selbst wohlfühlen und den sie authentisch vermitteln können. Außerdem empfiehlt es sich, zu Beginn einfach einzusteigen und im bekannten Terrain der Teilnehmenden zu bleiben. Sind die Mitarbeitenden einmal an das Thema Gamification herangeführt und davon begeistert, kann man noch leichter experimentieren und ungewöhnliche Vorgehensweisen testen. Hier nun einige Anregungen, was alles möglich sein kann:
Es gibt viele Möglichkeiten, spielerischer im Arbeitsschutz zu werden – ohne unseriös zu sein
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Quiz (online oder offline)
Diese Form des Spielens ist schon für sämtliche Zielgruppen wie Sicherheitsbeauftragte, Sicherheitsfachkräfte, Mitarbeitende und Führungskräfte erprobt. In der einfachsten Form sind die Quizfragen vorgegeben. Die Teilnehmenden können allein oder in Gruppen spielen. Eine größere Dynamik entwickelt sich, wenn Sie Gruppen bilden, die gegeneinander spielen. Dann haben die Beteiligten viel Spaß, engagieren sich im Spiel und setzen sich eigenständig intellektuell mit dem Thema auseinander. Dabei suchen sie auch ohne Preis ehrgeizig nach den richtigen Antworten. Wenngleich ein kleiner Preis für das Gewinnerteam zusätzlich anspornt.
Es ist auch möglich, dass Teilnehmende selbst Fragen formulieren dürfen. Beispielsweise können Sie einen Foliensatz ausdrucken und an die Gruppen verteilen, die diese jeweils durcharbeiten und Fragen dazu entwickeln. Dann stellt jede Gruppe ihre Fragen an die jeweils anderen Gruppen. Wenn die Fragen richtig beantwortet werden, ist das Ziel der Wissensvermittlung erreicht und es gibt einen Punkt. Als weitere Stufe können die Gruppen ihre Antworten zunächst aufschreiben. Die Lösung wird nicht sofort bekannt gegeben. Dann muss wieder eine andere Gruppe die Antworten der anderen Gruppen korrigieren. So setzt sich jede Gruppe dreimal mit dem Thema auseinander. Zunächst bei der Frageformulierung, dann bei der Beantwortung und zuletzt bei der Bewertung der Antworten. Fakt ist: Für das langfristige Lernen ist Wiederholung ein wichtiger Schlüssel. Genial bei dieser Methode: Es fühlt sich nicht wie eine Wiederholung an und macht sogar Spaß.
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Fragenpool (online oder offline)
Das Quiz kann auch zum festen Fragenpool weitergedacht werden. Dazu werden zentral in einem Fragenpool Fragen gesammelt, die über die Zeit im Unternehmen weiterentwickelt und ausgebaut werden. Jede Abteilung kann sich einen Team-Namen geben und gegebenenfalls einen Avatar erstellen, mit dem sie gegen die anderen Abteilungen antritt. Nach jeder Unterweisung können die Teams zufällig geloste Fragen aus dem Fragenpool bearbeiten und sich mit richtigen Antworten Punkte für ihr Team erspielen.
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ABC-Liste (online und offline)
Die ABC-Liste eignet sich sehr gut als Einstieg in das Thema Gamification. Das Alphabet wird vertikal von A bis Z auf ein Flipchart, einen Zettel oder ein digitales Whiteboard übertragen. Alle Beteiligten überlegen nun Buchstabe für Buchstabe, was ihnen zum (Unterweisungs-)Thema einfällt. Dieses Spiel kann sehr gut am Anfang eines Seminars oder einer Unterweisung stehen, um das Gehirn auf das nachfolgende Thema vorzubereiten. Ebenso gut kann es zum Abschluss eingesetzt werden, um das Gelernte noch einmal zusammenzufassen und zu festigen.
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Abwandlung von Stadt, Land, Fluss (online und offline)
Eine weitere Möglichkeit ist eine abgewandelte Variante von Stadt, Land, Fluss mit individuellen Kategorien.
Beispiele für Kategorien sind:
- Was entlastet mich bei der Arbeit?
- Was entspannt mich nach der Arbeit?
- Was regt mich total auf?
- Was sind Beispiele für Schutzausrüstung?
- Was sind Beispiele für Gefahrstoffe?
- Was sind Beispiele für Arbeitsabläufe?
Diese Kategorien können einige Runden gespielt werden. Dann besteht die Option, Kategorien auszutauschen.
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Schnitzeljagd (offline)
Darf es etwas aufwendiger sein? Dann bereiten Sie doch eine Schnitzeljagd vor. Wer jetzt an Kindertage zurückdenkt, ist auf dem richtigen Weg. Diese Methode ist daran angelehnt, macht aber auch Erwachsenen Spaß. Als Team muss jeweils eine Aufgabe gelöst werden, bevor die nächste Aufgabe angegangen werden kann. Eine Schnitzeljagd kann im beruflichen Kontext so aufgebaut sein, dass in einem Unternehmen QR-Codes aufgeklebt werden, die abgescannt werden können und themenrelevante Fragen enthalten. Mit neuen Mitarbeitenden oder Auszubildenden wäre am ersten Arbeitstag auch eine Schnitzeljagd zum Thema „Wichtige Arbeitsschutzeinrichtungen“ denkbar. Wichtig ist es, eine Geschichte drum herum aufzubauen.
Erste Schritte zu Gamification
Sind Sie jetzt Feuer und Flamme und fragen sich: Wie könnte die nächste Arbeitsschutzunterweisung spielerischer durchgeführt werden? Was sind die ersten Schritte? Hier die wichtigsten Tipps:
Wenn Gamification zum ersten Mal zum Einsatz kommt, empfiehlt es sich, eine Gruppe zu wählen, die Ihnen zugewandt und für Neues offen ist. Machen Sie es sich einfach, schließlich macht Übung den Meister und am besten fangen Sie dort an, wo Sie wenig Widerstand erwarten! Prüfen Sie im Vorfeld genau, wer da vor Ihnen sitzen wird. Ist es die erste Unterweisung für den Teilnehmerkreis (zum Beispiel neue Mitarbeitende und / oder Auszubildende) oder ist es eine Wiederholung? Daraus leitet sich ab, welche Vorgehensweise sinnvoll ist. Bei einer Erstunterweisung könnten Sie zunächst Wissen vermitteln und später beispielsweise mit einem Quiz prüfen. Wenn es sich jedoch um eine Wiederholungsunterweisung handelt, könnten Sie mit einer ABC-Liste das vorhandene Wissen abfragen und fehlendes ergänzen. Schließlich ist es aus lernpsychologischer Sicht sinnvoll, Methoden zur Wissensvermittlung sowie die Darstellung der Inhalte zu variieren. So bleibt das Gehirn wach und das Thema wird gefestigt.
Denken Sie außerdem daran, dass es eine Maßnahme sein sollte, die Ihnen als moderierender Person selbst Spaß macht – ob das nun ein Quiz, ein Escape-Game oder ein Rätsel ist.
Zu guter Letzt: Neues Jahr, neues Spiel. Setzen Sie in diesem Jahr in Ihren Unterweisungen oder in einem Meeting doch ein spielerisches Element ein. Freuen Sie sich auf eine Menge Spaß und Aha-Effekte.
DIE AUTORINNEN:
Dr. Stefanie Schöler und Heike Nordick bringen mit ihrer Unternehmensberatung „Arbeitsschutz-Universum“ mit Spaß und großem Praxisbezug den Arbeits- und Gesundheitsschutz in die Betriebe. Die Psychologin Stefanie Schöler gründete den ersten digitalen Sifa-Stammtisch Deutschlands mit und beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Innovationen, Digitalisierung, New Work und Arbeitsschutz. Heike Nordick ist Fachkraft für Arbeitssicherheit und Fachkraft für betriebliches Gesundheitsmanagement mit dem Schwerpunkt mentaler Gesundheit.