Arbeiten mit Datenbrillen – aber sicher

Datenbrillen werden in den unterschiedlichsten Bereichen wie zum Beispiel in Handel, Service, Instandhaltung sowie Montage zunehmend eingesetzt. Dabei dürfen die neuen Technologien keine negativen Auswirkungen auf die Arbeitssicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten haben.

Text: Marieke Kempf und Christoph Schiefer

Datenbrillen – was ist das?

Datenbrillen werden als am Kopf getragene digitale kognitive Assistenzsysteme in der Arbeitswelt zunehmend verwendet. Da die Produktvarianz sehr hoch ist und es viele verschiedene Anwendungsfälle gibt, liegen bisher nur wenige konkrete gesetzliche Regelungen oder Empfehlungen vor. Beim Einsatz von Datenbrillen als Arbeitsmittel stehen Betriebe vor der Herausforderung, für ihren konkreten Anwendungsfall die Sicherheit der Beschäftigten ebenso zu gewährleisten wie eine ergonomische und menschengerechte Gestaltung physischer und psychischer Belastungen.

Arten von Datenbrillen

Eine weitere Schwierigkeit ist, dass es keine einheitliche Definition des Begriffs Datenbrille gibt. Als Überbegriff findet man häufig Head-Mounted-Displays (am Kopf getragene Anzeigen). Dieser Begriff beinhaltet VR-Brillen (Virtual Reality, virtuelle Realität) ebenso wie AR-Brillen (Augmented Reality, erweiterte Realität). VR-Brillen erzeugen eine visuell generierte künstliche Umgebung. Von seiner Umwelt bekommt der Nutzende optisch nichts mit. Gerade im Gaming-Bereich wird diese Technik eingesetzt, aber auch bei virtuellen Trainings oder im Bereich der Konstruktion und Planung.

AR-Brillen haben einen geringeren Virtualitätsgrad, das heißt, in die reale Umgebung werden Zusatzinformationen eingeblendet und die Realität wird damit erweitert. Dies kann in Form von Bildern, Texten oder Zeichen geschehen. Weiterhin unterscheidet man Datenbrillen in monokulare und binokulare Brillen und ob die Anzeigen intransparent sind und damit das Sichtfeld einschränken oder ob sie als transparente „See-through“-Displays ausgelegt sind. Auch die Bedienung der Datenbrillen unterscheidet sich von Modell zu Modell erheblich. Die Steuerung über Sprache, Gesten, physische Tasten – auch an zusätzlichem Touchpad – oder eine Kombination aus mehreren Bedienmöglichkeiten sind bei den unterschiedlichen Datenbrillenarten möglich. AR-Brillen finden ihre Anwendung beispielsweise in der Lagerlogistik, in der Instandsetzung sowie in der Montage.

Einsatzszenarien für Datenbrillen

Kommissionierung
In der Intralogistik kommissionieren die Beschäftigten einzelne Waren auftragsbezogen und stellen sie zu einer Gesamtmenge zusammen, was als picken (engl.: to pick = sammeln, greifen) bezeichnet wird. Der Kommissionierauftrag kann den Kommissionierenden (Picker/Pickerin) auf verschiedene Arten übermittelt werden. Bei Pick-by-Vision werden AR-Datenbrillen eingesetzt, um text- oder bildgesteuert die Auftragsdaten (zum Beispiel Lagerort und Anzahl der Artikel) anzuzeigen.

Erhofftes Ziel der Datenbrillennutzung ist es, Arbeitsabläufe zu beschleunigen, Fehler zu verringern sowie die Effizienz zu steigern. Die Datenbrille soll Laptop, Handscanner, Sprachkommissionierung oder Papierbögen ersetzen, sodass die Beschäftigten immer beide Hände für die Kommissioniertätigkeiten und die Handhabung von Transportfahrzeugen im Logistikzentrum frei haben (Holz et al. 2021).

Montage
Im Anlagenbau führen Beschäftigte oft wiederkehrende Arbeitsschritte aus, die durch eine große Produktvarianz und verschiedene Anforderungen stark variieren können. Hier ist es hilfreich, wenn die Mitarbeitenden Informationen über die nächsten Arbeitsschritte erhalten, wie zum Beispiel Montageanweisungen oder Mengenangaben. Die Datenbrille übernimmt bei dieser Anwendung eine Assistenzfunktion und unterstützt die Beschäftigten zielgerichtet. Diese benötigen einen weitestgehend freien Blick auf die Werkstücke, daher bieten sich AR-Brillen mit geringem Virtualitätsgrad an, das heißt, die Umwelt bleibt weiterhin wahrnehmbar.

Remote-Service bei Wartung und Instandhaltung
Ein weiteres Feld, in dem Datenbrillen zunehmend Anwendung finden, ist die Wartung und Instandhaltung von Maschinen und Anlagen mittels Remote-Service, also der Unterstützung aus der Ferne. Die Datenbrille dient als Kommunikationsschnittstelle zwischen dem vor Ort im Betrieb agierenden Instandhaltungspersonal und aus der Ferne hinzugeschalteten Remote-Experten, beispielsweise vom Hersteller der betreffenden Maschine oder Anlage. Dabei werden audiovisuelle Informationen zwischen den Akteuren übertragen. Der Sachverständige erhält mittels in der Datenbrille integrierter Kamera ein Bild von der Situation vor Ort und kann im Gegenzug technische Informationen, Hinweise und Arbeitsanweisungen per Bild und Ton an das Instandhaltungspersonal übermitteln.

Bei Remote-Anwendungen besteht eine besondere Herausforderung darin, das Verhältnis zwischen Instandhaltungspersonal und den unterstützenden Remote-Sachverständigen so zu regeln, dass keine zusätzlichen Gefährdungen für die Instandhaltenden entstehen. Der Sachverständige gibt dem Instandhaltungspersonal vor Ort Instruktionen, ohne selbst vor Ort zu sein und die Gesamtsituation überblicken zu können. In Kombination mit komplexen Gefährdungssituationen bedarf dies spezifischer Regeln und Vereinbarungen und stellt bestimmte Anforderungen an die Beteiligten.

Rechtliche Anforderungen beim Einsatz von Datenbrillen

Da es sich bei Datenbrillen um ein verhältnismäßig neues Arbeitsmittel mit einer Vielzahl technischer Spezifikationen und einer wachsenden Zahl möglicher Anwendungsbereiche handelt, finden sie zum aktuellen Zeitpunkt noch keine explizite Berücksichtigung im Arbeitsschutzrecht. Sie sind weder in der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) noch in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) oder dem anhängigen technischen Regelwerk namentlich erwähnt.

Dessen ungeachtet muss der Betrieb sicherstellen, dass bei der Verwendung von Datenbrillen am Arbeitsplatz Gefährdungen für die Beschäftigten vermieden und eine ergonomische und menschengerechte Gestaltung physischer und psychischer arbeitsbedingter Belastungen gewährleistet werden. Dabei müssen der Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden (§ 4, Nr. 3 Arbeitsschutzgesetz, ArbSchG). Maßgeblich für die Benutzung von Datenbrillen ist die Betriebssicherheitsverordnung. Das Unternehmen ist hiernach verpflichtet, vor der Verwendung von Arbeitsmitteln die auftretenden Gefährdungen zu beurteilen sowie geeignete und notwendige Schutzmaßnahmen abzuleiten (§ 3 BetrSichV).

Es ist gefordert, dass der Arbeitgeber seine Gefährdungsbeurteilung regelmäßig überprüft und diese gegebenenfalls anpasst. Die zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel müssen für die auszuführenden Arbeiten geeignet und an die gegebenen Einsatzbedingungen angepasst sein (§ 5 BetrSichV). Anhaltspunkte für die konkrete Bewertung der Tätigkeiten mit Datenbrillen ergeben sich zum Beispiel aus der Technischen Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 1151 „Gefährdungen an der Schnittstelle Mensch – Arbeitsmittel“ oder dem Anhang 6.4 „Anforderungen an tragbare Bildschirmgeräte für die ortsveränderliche Verwendung an Arbeitsplätzen“ zu § 3 Abs. 1 ArbStättV, auch wenn Datenbrillen hier nicht ­explizit erwähnt werden.

Untersuchungen zur Nutzung im Feld

Um Empfehlungen für die Verwendung von Datenbrillen geben zu können, wurde in dem Forschungsprojekt „Auswirkungen von Datenbrillen auf den Menschen“ (siehe „Weitere Informationen“) die Nutzung von Datenbrillen an Arbeitsplätzen hinsichtlich der Arbeitssicherheit und der Gesundheit untersucht. Nach einer orientierenden Markt- und Literaturrecherche (Holz et al. 2021; Friemert et al. 2020) wurde in drei Unternehmen die Nutzung von Datenbrillen während der Arbeit untersucht. Zwei Unternehmen aus dem Bereich Lagerlogistik und eins im Bereich Montage nahmen an den Untersuchungen teil. Hierbei wurden die Augenbelastung und die Belastung für das Muskel-Skelett-System mittels Haltungsanalyse sowie die Akzeptanz mittels Fragebögen genauer betrachtet. Bei der Haltungsanalyse wurde die bisherige Tätigkeit (mit Handscanner) mit der Tätigkeit mit Datenbrille verglichen und Veränderungen in der Körperhaltung und Bewegung wurden betrachtet.

Zusätzlich wurden im Labor beispielsweise die Akzeptanz- und Effizienzanalyse (Laun et al. 2022) an Modellarbeitsplätzen aus Kommissionierung und Montage, die Gangstabilität, Haltungskontrolle und Standstabilität (posturale Stabilität; Weber et al. 2022) sowie die thermischen Einwirkungen und die elektromagnetische Strahlung bei der Nutzung von Datenbrillen (Jungk et al. 2022) untersucht.

Neben den bereits veröffentlichten Ergebnissen ist erwähnenswert, dass sowohl Verbesserungen als auch Verschlechterungen der Muskel-Skelett-Belastungen bei der Nutzung von Datenbrillen im Vergleich zu anderen Arbeitsmitteln auftreten können. Der Zeitanteil der Interaktion mit der Datenbrille spielte in den untersuchten Fällen nur eine sehr kleine Rolle, während die Arbeitsplatzgestaltung die Hauptrolle spielte. Die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung sollte daher mit Einführung von Datenbrillen erneut geprüft werden. Auf Basis der vorgenannten Untersuchungen wurden Handlungsempfehlungen für die Praxis abgeleitet.

Weitere Informationen

Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik: Forschungsprojekt „Auswirkungen von Datenbrillen auf den Menschen“, 2021
www.dguv.de/fbhl/sachgebiete/foerdern-lagern-logistik/datenbrillen/

Fachbereich Handel und Logistik: Arbeitsschutzgerechter Einsatz von Datenbrillen − FAQs, Checklisten. 2021 (FBHL-009)
publikationen.dguv.de/regelwerk/publikationen-nach-fachbereich/handel-und-logistik/intralogistik-und-handel/4409/fbhl-009-arbeitsschutzgerechter-einsatz-von-datenbrillen-faqs-checklisten

Fachbereich Holz und Metall: Arbeitsschutzgerechter Einsatz von Datenbrillen − FAQs, Checklisten. 2021 (FBHM-118)
publikationen.dguv.de/Regelwerk/Publikationen-nach-Fachbereich/Holz-und-Metall/Fertigungsgestaltung-Akustik-Laerm-und-Vibrationen/4397/FBHM-118-Arbeitsschutzgerechter-Einsatz-von-Datenbrillen-FAQs-Checklisten

Handlungsempfehlungen

Da Datenbrillen bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten verwendet werden können, sind bei der Gefährdungsbeurteilung nicht nur die möglichen Gefährdungen und Belastungen zu berücksichtigen, die durch die Datenbrille selbst entstehen können (elektromagnetische Felder, Wärme, Blendung, ungünstige ergonomische Gestaltung [ISO 9241-110] etc.), sondern vor allem auch Gefährdungen durch Wechselwirkungen mit anderen Arbeitsmitteln oder der Arbeitsumwelt. Vor der Einführung von Datenbrillen im Unternehmen sollten diese Rahmenbedingungen analysiert und gestaltet werden. Sie können sich abhängig vom Einsatzzweck zum Teil deutlich unterscheiden.

Folgende Aspekte sollen beispielsweise berücksichtigt werden:

  • Einbindung in die (bestehenden) Arbeitsabläufe
  • Einsatzort der Datenbrille (Umgebungsbedingungen wie Beleuchtung oder Blendung)
  • voraussichtliche Einsatzdauer/Tragedauer
  • potenzielle Belastungen und Gefährdungen (auch Wechselwirkungen)
  • Ängste und Bedenken der Beschäftigten (zum Beispiel Datenschutz)
  • technische Voraussetzungen wie ­beispielsweise die Netzabdeckung am Einsatzort oder die Akkulaufzeit
  • Wärmeentwicklung und Strahlung
  • Hygienemaßnahmen bei Nutzerwechsel
  • Kombination mit Korrektur- oder Schutzbrillen
  • ergonomische Gestaltung
  • psychische Belastung (zum Beispiel ­Informations- und Aufgabenschnittstelle)

Je nach Datenbrillenmodell kann es zu einer mehr oder weniger starken Einschränkung des Sichtfelds oder zu Ablenkung kommen. Dies kann insbesondere in Kombination mit dem Führen von Flurförderzeugen oder Maschinen oder bei erhöhter Stolper-, Rutsch- oder Anstoßgefahr von Bedeutung sein und muss entsprechend in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden.

Da es sich bei Datenbrillen um Arbeitsmittel handelt, die direkt am Körper getragen werden und somit die Beschäftigten auch direkt beeinflussen können, sollten die Arbeitsmediziner von Anfang an bei der Einführung beteiligt werden. So können eventuelle gesundheitliche Beeinträchtigungen bei den Beschäftigten frühzeitig erkannt und bei der Gestaltung berücksichtigt werden.

Weitere Hinweise finden sich in der Publikation Fachbereich Aktuell „Arbeitsschutzgerechter Einsatz von Datenbrillen – FAQs, Checklisten“.

FAZIT

Das Arbeitsmittel Datenbrille ermöglicht in seinen unterschiedlichen Ausprägungen viele unterschiedliche Einsatzszenarien in der Arbeitswelt. Die Handlungsemp􀀀 fehlungen liefern Hinweise, worauf bei der Einführung von Datenbrillen zu achten ist. Die Frage, wie die Sicher􀀀 heit und Gesundheit am Arbeitsplatz durch die Nutzung der Datenbrillen beeinflusst werden, lässt sich nicht pauschal beantworten. Daher sind für die Nutzung von Datenbrillen entsprechende Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen.

 

DIE AUTORIN UND DER CO-AUTOR:

Marieke Kempf arbeitet für die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) sowie im Fachbereich „Handel und Logistik“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Dr. Christoph Schiefer ist in der Stabsstelle „Gestaltung neuer Arbeitsformen“ des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) tätig.


Literatur
Friemert, D. et al.: What is the state of smart glass research from an OSH viewpoint? A literature review. Cham: Springer International Publishing, 2020.
Holz, A. et al.: Datenbrillen am Arbeitsplatz. Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 2021; 71: 24–28.
ISO 9241-110: Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 110: Interaktionsprinzipien, DIN, Editor. 2020.
Jungk, P. et al.: Investigation of the impact of electromagnetic fields emitted close to the head by smart glasses. Biomed Tech (Berl) 2022; 67: 219–226.
Laun, M. et al.: The acceptance of smart glasses used as side-by-side instructions for complex assembly tasks is highly dependent on the device model. Int J Industr Ergon 2022; 90.
Weber, A. et al.: Head-Mounted and hand-held displays diminish the effectiveness of fall-resisting skills. Sensors (Basel) 2022; 22 (1).