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Begraben unter Beton
Alles, was Recht ist

Foto: Adobe Stock/AA+W
Bauvorhaben sind unfallanfällig – besonders bei unprofessioneller Planung, unsorgfältiger Auswahl der Verantwortlichen und unzureichender Überwachung. Häufig nehmen die Beschäftigten zudem Arbeitsschutzverstöße einfach hin, ohne sich dagegenzustemmen. All das kam beim Bau eines Firmensitzes in Oberbayern zusammen und führte zu einer Tragödie mit vier Todesfällen.
Text: Prof. Dr. Thomas Wilrich
Der Fall
Ab Frühjahr 2020 errichtete das Bauunternehmen B-GmbH seinen neuen Firmensitz im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech. Zwei Gebäude sollten dafür neu gebaut werden: ein Bürogebäude mit einer Betriebsleiterwohnung und eine Werkhalle. Diese beiden Gebäude sollten in einer Höhe von etwa fünf Metern durch eine Durchfahrt verbunden werden, die gleichzeitig als Terrasse für die Betriebsleiterwohnung dienen sollte.
Entscheidend involviert waren ein zum Unfallzeitpunkt 64-jähriger Vater und sein 30-jähriger Sohn. Der Vater ist der langjährige Geschäftsführer des Unternehmens, außerdem ein erfahrener Bauleiter und Maurermeister. Er trat als Bauherr in Erscheinung. Der Sohn war damals erst seit einem halben Jahr ebenfalls Geschäftsführer des Bauunternehmens. Zuvor hatte er eine Ausbildung zum Maurer durchlaufen, die Meisterschule 2019 abgeschlossen und die Zusatzqualifikation Bautechniker mit dem Titel „Bachelor Professional“ erworben. Er war der zuständige Bauleiter und Aufsichtführender auf der Baustelle.
Im Mai 2019 beauftragte der Vater die Firma X mit der Erstellung der prüffähigen Statik und der Bewehrungspläne – aber nicht mit der Bauüberwachung. Er beauftragte die Firma Y mit der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination gemäß Baustellenverordnung (BaustellV).
Ab Herbst 2020 begann – so heißt es im Urteil des Amtsgerichts Landsberg – „ein Trupp mit mehrfach wechselnden Kräften unter Führung des beim Unfall verstorbenen Vorarbeiters V“, ein Traggerüst für das Betonieren der Durchfahrt beziehungsweise der Terrasse zu erstellen. Welche Fehler dabei gemacht wurden, schildert das Gericht sehr detailliert: Unter anderem bestand kein stabiler Unterbau und es gab keine ausreichende Absicherung. Zwei Mitarbeiter und der Vater des Vorarbeiters äußerten Zweifel an der Stabilität. Aber V „wischte sie beiseite und meinte, er mache das schon und man müsse auch wirtschaftlich denken“.
Nachdem am Morgen des 16. Oktober 2020 Rüttelarbeiten auf der Betondecke abgeschlossen worden waren, brach gegen 11.07 Uhr die Schalung plötzlich ein. Der Vorarbeiter V und drei weitere Beschäftigte – darunter ein 16-jähriger Auszubildender – starben, als sie unter den Trümmern und flüssigem Beton verschüttet wurden. Ein weiterer Bauarbeiter erlitt eine Schnittwunde am Arm, er bekam nach dem Unfall psychische Probleme.
Das Urteil
Das Amtsgericht Landsberg sprach am 24. April 2023 das Urteil: „Die Angeklagten haben sich der fahrlässigen Tötung in 4 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 222 schuldig gemacht“.1
Aus Sicht des Gerichts sind sie nicht wegen fehlerhaften Tuns verantwortlich, sondern: „Beide haben sich einer Straftat durch Unterlassen gemäß § 13 StGB schuldig gemacht.“ Voraussetzung einer Verurteilung sind Verantwortung, Pflichtverletzung und Schuld.
Strafgesetzbuch (StGB)
§ 13 Begehen durch Unterlassen
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann […] gemildert werden.
1. Verantwortung durch Garantenstellung
Wegen Unterlassen von Sicherheitsmaßnahmen kann strafrechtlich nur verurteilt werden, wer Garant im Sinne des § 13 StGB ist2, also „rechtlich dafür einstehen muss, dass der Erfolg nicht eintritt“. Im Strafrecht ist mit Erfolg die Folge der Unterlassung gemeint, also letztlich eigentlich der „Misserfolg“ – im vorliegenden Fall der Unfall mit Toten und Verletztem. Im Urteil heißt es:
- „Die Garantenpflicht des angeklagten Sohnes erwächst aus seiner Eigenschaft als Bauleiter vor Ort und seiner Stellung als Geschäftsführer. Da keine Bauaufsicht gebucht war, hätte er als Bauleiter der ausführenden Firma diese Aufsicht führen und die Sicherheitsvorschriften beachten müssen.“
- „Die Garantenpflicht des angeklagten Vaters erwächst aus seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Baufirma, außerdem war er Grundeigentümer und Bauherr.“
Außerdem ergebe sich für beide Angeklagte die Garantenpflicht aus dem Arbeitsschutzgesetz (§ 4 Nr. 2 und 7). Danach haben Arbeitgeber die Pflicht, Arbeiten so zu gestalten, dass Gesundheitsgefährdungen vermieden werden. Außerdem müssen sie den Beschäftigten dafür geeignete Anweisungen erteilen.
Diese letzte Begründung ist schief.3 § 4 ArbSchG enthält „Allgemeine Grundsätze“ des Arbeitsschutzes. Aus dieser Vorschrift ergibt sich keine Garantenstellung der Führungskräfte, sondern es ergeben sich Pflichten des Arbeitgebers. Aber die GmbH ist Arbeitgeber, nicht der Geschäftsführer und erst recht nicht der Bauleiter. Besser wäre es, § 13 ArbSchG zu erwähnen. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 sind Geschäftsführer verantwortliche Personen. Der Bauleiter ist dort nicht erwähnt, aber § 3 DGUV Vorschrift 38 „Bauarbeiten“ (in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Nr. 5 ArbSchG) fordert „weisungsbefugte und fachkundige Vorgesetzte“. Diese müssen „gewährleisten, dass bei der Durchführung der Bauarbeiten die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften eingehalten werden und die Gefährdungen für die Sicherheit und Gesundheit der Versicherten minimiert werden“. Außerdem sind „Aufsichtführende“ gefordert – und als solcher war der Sohn benannt.
2. Pflichtverletzung
Dem Sohn wirft das Gericht eine Planungspflichtverletzung und eine Überwachungspflichtverletzung vor – diese bezogen sowohl auf Personen als auch auf die Ausführung. Er habe die Arbeit des Vorarbeiters nicht kontrolliert. Für das Gerüst habe er nicht die erforderlichen Berechnungen durchführen lassen und weder das geeignete Material für die Stützen zur Verfügung gestellt noch überwacht, dass sie sicher und nach Anleitung des Herstellers aufgestellt worden seien. Eine technische Dokumentation sei ebenfalls nicht erfolgt.
Dem Vater – als Bauherrn – warf das Gericht ein Auswahlverschulden und ein Überwachungsverschulden vor: „Er durfte dem noch nicht ausreichend erfahrenen Sohn nicht die technische Ausführung ohne Beaufsichtigung überlassen.“ Da er die Bauaufsicht nicht an einen externen Experten vergeben hatte, hätte der Vater selbst das Gerüst in Augenschein nehmen und dafür sorgen müssen, dass die erforderlichen Berechnungen vorliegen und es mit geeignetem Stützmaterial sicher aufgestellt ist.4
Keine Pflichtendelegation
Die Beauftragung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators (SiGeKo) habe die Angeklagten nicht von ihren Pflichten entbunden, ergänzte das Amtsgericht und verwies damit auf § 3 Abs. 1a BaustellVO. „Zudem betrifft der Schutzbereich des SiGeKo im Wesentlichen die Zusammenarbeit verschiedener Gewerke und nicht zentral die Prüfung eines, vom Bauherrn durch eigene Kräfte erstellten Traggerüstes. Das Gericht ist auch der Überzeugung, dass es zwischen den Firmen Vereinbarung war, dass eine SiGeKo billig, wenig ‚störend‘ und eher formal ablaufen sollten und dies auch den Einsatz der SiGeKo beschränkte.“5
3. Schuld
Konkret zur Schuld in Form der Fahrlässigkeit enthält das Urteil keine Aussagen. Das ist nicht wirklich sauber. Man muss sich die relevanten Schlussfolgerungen des Gerichts aus dem Sachverhalt zusammensuchen.
Fahrlässigkeit ist Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Unfalls – die Todesfolge muss insbesondere vorhersehbar gewesen sein. Das Gericht hob hervor, dass die Angeklagten die Vorschriften hätten kennen müssen. Den Widerspruch zur Aufbauanleitung und dem mangelnden Unterbau der Stützen mit Splitt, Brettchen oder teilweise bloßem Einklopfen „hätte jede mit Bau befasste Person erkennen können und müssen“. Für beide Angeklagte war erkennbar, dass das Gerüst nicht sicher war – dafür würden sie als Bauunternehmer über entsprechenden technischen Sachverstand verfügen. Der Sohn habe sich fast jeden Tag auf der Baustelle aufgehalten und sich auch mehrfach mit dem später verunglückten Vorarbeiter V besprochen. Der Vater hätte als Geschäftsführer und Bauherr mit längerer Berufserfahrung und tieferen Kenntnissen die Baustelle besuchen und überwachen müssen.
Strafhöhe und Strafzumessung
Das Amtsgericht Landsberg verurteilte den Sohn zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und den Vater zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten. Die Vollstreckung wurde jeweils zur Bewährung ausgesetzt.
Bei der Diskussion der Strafhöhe berücksichtigte das Gericht, dass neben dem Unterlassen der Angeklagten auch die Verkettung unglücklicher Umstände und die Beiträge anderer Beteiligter zum tödlichen Unfall geführt hätten. Im Einzelnen:
- V war ein erfahrener Vorarbeiter, der viele Jahre im Betrieb tätig war und die Erfahrung von zahlreichen Baustellen hatte. Er „hatte vor Ort das Sagen, zeichnete für das Traggerüst verantwortlich und ließ sich auch durch Zweifel und Bedenken anderer Mitarbeiter und seines Vaters nicht zu einer vorsichtigeren Handlungsweise veranlassen. Sein Beitrag liegt im aktiven Tun, nämlich im Aufbau des Traggerüstes mit erheblichen Mängeln“.
- „Das Unterlassen des ihm vorgesetzten Sohnes ist in etwa so schwer zu gewichten wie das Tun des Vorarbeiters.“ Der Sohn „ließ trotz der Position des Bauleiters und der Schutzpflicht als Arbeitgeber den Vorarbeiter gewähren, ergriff keine Schutzmaßnahmen und veranlasste auch keine Prüfung durch andere fachkundige Personen“.
- Den Beitrag des Vaters stuft das Gericht als nicht ganz so hoch ein. Er bestünde darin, dass er „die Bauleitung seinem Sohn überließ, die Bauaufsicht bzw. die weiteren Leistungsphasen nicht vergab und entweder die Baustelle nicht besuchte oder trotz Kenntnis nicht eingriff und jedenfalls die notwendigen Schutzmaßnahmen nicht ergriff“.
- Einen noch darunter liegenden Verursachungsbeitrag sieht das Gericht bei den für Statik und SiGeKo beauftragten Personen. Das Gericht kritisierte, die „SiGeKo beschränkte sich weitgehend auf Formalien“.
- Minimale Beiträge in der Verursachung sieht das Gericht bei den Mitarbeitern A, B und C, die das Gerüst aufgebaut hatten. „Die ihnen entstandenen Bedenken äußerten sie zwar gegenüber dem Vorarbeiter, wirkten aber trotzdem am Bau mit und wandten sich nicht an den Bauleiter.“
- Zudem bemängelte das Gericht die Kontrolldichte des Gewerbeaufsichtsamtes, das mit zehn Mitarbeitern für ganz Oberbayern zuständig ist. Das habe „dem Unglück nicht entgegengewirkt“.
Neben dem „nicht unerheblichen Beitrag der weiteren Beteiligten zur Katastrophe“ heißt es zugunsten der beiden Angeklagten im Urteil noch, dass sie ihre Verantwortung eingeräumt und sich bei den Hinterbliebenen entschuldigt hätten. Das Gericht wertete das als „weitgehendes Geständnis“. Vater und Sohn, die beide zuvor nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten seien, seien durch die Tat und deren Folgen psychisch wie wirtschaftlich betroffen. Im Nachhinein hätten sie Maßnahmen getroffen, um die Sicherheit der Beschäftigten zu erhöhen, eine Zusammenarbeit und Zertifizierung mit der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) installiert sowie in persönliche Schutzausrüstung und verbesserte Sicherheitsbedingungen investiert.
Zulasten der Angeklagten wertete das Gericht die „massiven Folgen der Tat“ mit vier Toten. „Auch zogen sich die Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften über einen längeren Zeitraum und betrafen Planungs- und Ausführungsphase. Die Verstöße erfolgten auch aus finanziellen Gründen, so wurden z. B. Kosten für zusätzliche Expertisen oder eine externe Bauaufsicht eingespart.“
In der Allgäuer Zeitung heißt es:6 „Die Angeklagten müssen neben ihrer Bewährungsstrafe als Auflage eine Geldsumme in Höhe von insgesamt 40.000 Euro zahlen. Das Geld soll den Hinterbliebenen, dem Verletzten sowie der Feuerwehr Denklingen und dem Bayerischen Roten Kreuz Landsberg zugutekommen.“
DER AUTOR:
Dr. Thomas Wilrich ist Professor an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München. Als Rechtsanwalt ist er unter anderem in den Bereichen Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Baurecht, Betriebssicherheit sowie Produktsicherheits- und Produkthaftungsrecht tätig. Als Autor hat er zahlreiche Bücher geschrieben, die sich an Führungskräfte und Arbeitsschutzakteure richten (u. a. „Verantwortung und Haftung der Sicherheitsingenieure“ und „Bausicherheit – Arbeitsschutz, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten und Haftung der Baubeteiligten“).
1 AG Landsberg, Urteil vom 24.04.2023 – Az. 4 Ds 102 Js 106199/21.
2 Hierzu Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld – mit 33 Gerichtsurteilen, 2020.
3 Ausführlich auch Wilrich, Technik-Verantwortung – Sicherheitspflichten der Ingenieure, Meister und Fachkräfte und Organisation und Aufsicht durch Management und Führungskräfte, 2022.
4 50 weitere Urteilsbesprechungen in Wilrich, Bausicherheit – Arbeitsschutz, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten und Haftung der Baubeteiligten, 2021.
5 Zur BaustellV und zum SiGeKo ausführlich Wilrich, Praxisleitfaden Baustellenverordnung, 2023.
6 Vanessa Polednia, Baustellenunfall von Denklingen: Bauunternehmer werden schuldig gesprochen, 25. April 2023: www.allgaeuer-zeitung.de/meistgesucht/denklingen-baustellenunfall-von-denklingen-bauunternehmer-werden-schuldig-gesprochen_arid-565325.